“Auftanken in Kloster Reute! Komm und siehâ, mit diesen Worten laden die Franziskanerinnen von Reute in ihr Kloster bei Bad Waldsee ein. Am Rand des Ortsteiles Reute, mit weitem Blick hinaus in eine offene Landschaft von Feldern und Wiesen, lĂ€sst sich Kraft fĂŒr den Lebensalltag schöpfen. Je nach Jahreszeit erhebt hier Lavendel seine duftenden BlĂŒtenĂ€hren in den sanften Wind oder strecken sich majestĂ€tische Königskerzen bis zu zwei Meter hoch der Sonne entgegen. Dazwischen ist Platz fĂŒr die eine oder andere Zeile Rhabarber fĂŒr die KlosterbĂ€ckerei oder Pfingstrosen und Phlox fĂŒr die Klosterkirche. Kissen von Thymian stehen zwischen Reihen von Ringelblumen und duften mit Pfefferminze um die Wette.
Hier wird liebevoll von Hand gesÀt und geerntet
âDie AnbauflĂ€chen unserer KrĂ€uter sind biozertifiziert. Aufzucht und Pflege, natĂŒrlich auch die Ernte, sind Handarbeitâ, sagt KrĂ€uterfachfrau Schwester Birgit von der KlostergĂ€rtnerei in Reute. Wenn es an die Ernte und an die Trocknung der KrĂ€uter geht, sind vor allem die Ă€lteren Schwestern, die in Reute im Ruhestand leben, gefragt. Mit viel Geduld, Sorgfalt und Liebe zupfen sie zum Beispiel BlĂŒtenblĂ€tter von Ringelblumen ab. Diese Arbeit in einer historischen Gartenhalle geschieht in meditativer Stimmung, in ruhiger AtmosphĂ€re. Die Produkte des Klosters, sechs verschiedene KrĂ€utertees, ein KrĂ€utersalz aus mehr als 15 verschiedenen GewĂŒrzpflanzen oder der Pfeffer mit bunten BlĂŒtenblĂ€ttchen kann der Besucher im Klosterladen erwerben.
Eine SpezialitĂ€t der Ordensfrauen ist ihr Apotheker-Garten: Auf quadratischer FlĂ€che, eingeteilt in vier umsĂ€umten Beeten, sind Pflanzen zu Hause, die heilsam wirken in verschiedenen Organen und Funktionen des Körpers. Dieser Garten dient gewissermaĂen zu VorfĂŒhrzwecken. In weiteren Beeten findet man Pflanzen fĂŒr die Frauenheilkunde, GewĂŒrze, wie sie die Schwestern fĂŒr ihre KrĂ€utertees zĂŒchten oder Pflanzen, die in der Bibel beschrieben sind. Alle Pflanzen sind mit Schildern versehen. Von den Wegen und der RasenflĂ€che aus kann der interessierte Gast die unterschiedlichen KrĂ€uter unter die Lupe nehmen, ihren Wuchs, BlĂ€tter und BlĂŒten kennenlernen. Den ein oder anderen Ăberraschungsfund dĂŒrfte der Gartenfreund dabei wohl machen: Zum Beispiel Brennnessel, Giersch und Gundermann. Zu Hause rĂŒcken viele diesen âUnkrĂ€uternâ mit Hacke, Spaten oder Grabgabel zu Leibe. In Reutes Apotheker-Garten werden sie absichtlich gepflanzt. âVieles, was uns im Hausgarten stört, könnte uns helfenâ, so Schwester Birgit. Und sie geht noch einen Schritt weiter: âEs ist sogar so, dass genau das hĂ€ufig in unserer Umgebung vorkommt, was uns hilft.â
In der Pflanzenheilkunde helfen mehrere Schritte, die die Ordensfrau im Krankheitsfall selbst beherzigt: âĂberlegen, was mir guttut, rausgehen und suchen, ernten, zubereiten und schlieĂlich anwenden oder einnehmen.â Gerade das genaue Hinschauen sei wichtig. âDenn das öffnet mich fĂŒr die Hilfe, die in den Pflanzen steckt.â Und es sei wichtig, sich Zeit zu nehmen fĂŒr die einzelnen Schritte.
Exotische KrÀuter aus den Missionsstationen
Ein weiteres KrĂ€uterbeet ist den klassischen Hildegard-Pflanzen vorbehalten. Hier wachsen zum Beispiel Galgant, Melisse oder Bertram und andere KrĂ€uter, die die heilige Hildegard von Bingen im Mittelalter verwendete und empfahl. Aber die Franziskanerinnen von Reute sind auch fĂŒr neue Erkenntnisse offen, daher haben sie zum Beispiel Jiaogulan aus Ostasien angepflanzt. In unseren Breiten auch âUnsterblichkeitskrautâ genannt, könnte man die wild rankende Salat- und Heilpflanze fĂŒr ein ModegewĂ€chs halten. Doch tatsĂ€chlich findet sie in der traditionellen chinesischen Medizin Verwendung und ist in Fernost seit bald sieben Jahrhunderten als Heilkraut bekannt. âDie Natur- und Pflanzenheilkunde ist ein Wunderwerk, mit einem riesigen Spektrum von Pflanzen, die uns helfenâ, sagt Schwester Birgit. Die Franziskanerinnen von Reute beziehen ihr Wissen auch aus Missionsstationen der Ordensgemeinschaft in Brasilien und Indonesien. Aus Ăbersee haben Ordensfrauen heilkrĂ€ftige Pflanzen mit nach Oberschwaben gebracht, wie etwa das âHeilige Blattâ oder Keimblatt, dessen Blattsaft entzĂŒndungshemmend und schmerzlindernd wirkt, und das, im GewĂ€chshaus der Schwestern vor deutschen Wintern geschĂŒtzt, in vielen Töpfen gedeiht. Schwester Birgit ist eine gefragte Fachfrau fĂŒr HeilkrĂ€uter. In den jahreszeitlich verschieden gestalteten FĂŒhrungen bringt sie den Klosterbesuchern die Pflanzen nĂ€her. Damit und mit ihren KrĂ€uterseminaren verbindet die Ordensfrau vor allem ein Ziel:
âWenn sie wieder nach Hause gehen, sollen unsere Besucher ihren eigenen Garten und die Vielfalt in der Natur mit anderen Augen sehen. Ich hoffe, dass ich sie dazu inspirieren kann.â Bei den FĂŒhrungen lernt die pflanzenkundige Franziskanerin selbst dazu: âIch freue mich, wenn auch die GĂ€ste von ihren Erfahrungen mit Pflanzen berichten.â Das ist nicht nur berufliche Neugier. âIch staune immer wieder neu, was die Schöpfung uns alles anbietet.â
Gott hat uns die Erde zur Pflege anvertraut
Die Liebe und Dankbarkeit gegenĂŒber der Schöpfung, ihren Tieren und Pflanzen war schon OrdensgrĂŒnder Franz von Assisi vor 700 Jahren wichtig. Manchmal wird er als âerster Tier- und UmweltschĂŒtzer der Weltâ bezeichnet. Franz und seine Freunde waren ĂŒberzeugt: Gott hat uns die Erde anvertraut, deshalb sollten wir sie wie ein guter GĂ€rtner hegen und pflegen. Im Klostergarten, der der ErnĂ€hrung der Klostergemeinschaft diente, sollte nach Franz von Assisi stets Platz bleiben fĂŒr WildkrĂ€uter und Feldblumen. In Franzâ Sonnengesang heiĂt es:
âGelobt seist du, mein Herr, fĂŒr unsere Schwester Mutter Erde, die uns ernĂ€hrt und lenkt und vielfĂ€ltige FrĂŒchte hervorbringt und bunte Blumen und KrĂ€uter.â
Das Labyrinth als Pilgerweg zur Seele
Das Kloster in Reute hat seinen Ursprung in einer âKlauseâ, die fĂŒnf Frauen 1403 an diesem Ort bezogen. Die Nonnen lebten nach Franz von Assisis Ordensregeln. Eine von ihnen war Elisabeth Achler (1386â1420) aus Bad Waldsee. Bereits zu Lebzeiten war sie als Mystikerin und einfache Frau aus dem Volk geschĂ€tzt. Achler, heute als âGute Bethâ bekannt, wurde 1766 seliggesprochen.
Kloster Reute wurde 1784 im Zuge der staatlichen Enteignung aufgelöst. Doch seit bald 150 Jahren leben hier wieder Ordensschwestern. Die Gute Beth ist den Ordensfrauen ein Vorbild fĂŒr ein bescheidenes, aber den Menschen zugewandtes Klosterleben. Neben der GĂ€rtnerei unterhalten die Schwestern weitere Handwerksbetriebe: eine Metzgerei, eine HostienbĂ€ckerei und eine Paramentenstickerei, in der GewĂ€nder fĂŒr Gottesdienste hergestellt werden. Das Kloster ist ein Ziel von Wallfahrern und Pilgern, die zum Grab der Guten Beth in der barocken Pfarrund Wallfahrtskirche und zum Gut-Betha-Brunnen kommen.
Im Kloster Reute schlieĂt sich an die FĂŒhrung durch den HeilkrĂ€uter-Garten noch eine besondere Einladung an: In dem zum Klosterbereich zĂ€hlenden Ziergarten âLabyrinth der Sinneâ kann der Besucher die Schönheit der Schöpfung entdecken und loben. Den ganzen Sommer ĂŒber beeindrucken hier Sommerblumen, ZiergrĂ€ser und Schmuckstauden mit ihrer Pracht. âGehen Sie langsam hindurch, achten Sie darauf, was Sie hören und fĂŒhlen, was Sie sehen und riechenâ, lĂ€dt Schwester Birgit zu einem achtsamen Begehen des Labyrinths ein.
Im frĂŒhen Christentum wurden solche Labyrinthe als âPilgerwege zur Seeleâ verstanden. Die gewundenen Pfade fĂŒhren in eine Mitte, sie dienen dem Ziel des Pilgernden, sich selbst und Gott zu finden. SinnsprĂŒche auf kleinen Tafeln begleiten in Reute diesen Weg zu sich selbst. SitzbĂ€nke laden die Besucher ein, zu verweilen und zu betrachten und dabei die Seele baumeln zu lassen. âDas Labyrinth schenkt uns eine Zeit, zur Mitte zu gehen und Kraft zu tanken. Aber schlieĂlich man muss es wieder verlassen, muss wieder hinaus in den Alltagâ, erklĂ€rt Schwester Birgit. Mit der Natur zu leben, heiĂe âsich fĂŒr eine Weile zurĂŒckziehen, auftanken und dann gestĂ€rkt weitergehenâ.