Habent sua fata et horti – Auch Gärten haben ihr Schicksal. Dieser nachdenkliche, ein wenig umgeformte Sinnspruch fiel mir ein, als ich den Abteigarten im Kloster Bronnbach besuchte. Ich war schon zuvor dort gewesen, doch als ich nun wieder ins liebliche Taubertal kam, da sah ich den Garten erstmals in seiner neu erwachten, restaurierten Pracht.
Über Jahre hinweg wurde er zwar nicht völlig vergessen, doch in weiten Teilen seinem Schicksal überlassen. Die steinerne Einfriedung wankte, an den Figuren nagte der Zahn der Zeit. Wo ehedem Rabatten mit Blumen oder Kräutern gepflegt wurden, war alles von prosaischem Rasen überdeckt. Im Brunnen plätscherte kein Wasser mehr.
Und doch war er langlebig, der Garten in Bronnbach. Er stammt ja in seiner heutigen, äußeren Form vor allem aus der Barockzeit. Und das Barock hatte die Eigenart, im Vergänglichen die Ewigkeit darzustellen. Barocke Baumeister gestalteten Gebäude, Räume und Gärten zwar ganz nach dem Geschmack der Zeit, doch darin suchten sie stets das ewig Gültige, die ewigen Ideen nachzubilden und ins Jetzt zu holen. Und so zeigt sich manches aus dem Barock heute hinfällig und vergänglich, aber nicht unrettbar verloren.
So ging es auch mit dem Bronnbacher Garten. Das Zisterzienserkloster, ein paar Kilometer entfernt von Wertheim und zudem nicht weit von Würzburg gelegen, war von seiner Gründung im Jahr 1153 bis zur Aufhebung 1803 durchgehend von Mönchen bewohnt. Wie die meisten Klöster wurde es im Barock ganz wesentlich umgestaltet und dem Geschmack der Zeit angepasst. Der Garten diente nicht mehr nur dem Anbau von Kräutern, Obst und Gemüse, auch nicht mehr nur der Betrachtung und Erholung in der Natur, sondern nun besiedelten ihn Skulpturen – Allegorien, die dem Besucher Anregungen für Seele und Geist geben sollten. Vorbild waren die großen barocken Schlossgärten. Ihre Gestaltungsprinzipien wurden auch in den Klöstern aufgegriffen, die damals die Form von Residenzen annahmen. Die Bronnbacher Sandsteinskulpturen, überhaupt der barocke Garten, passten somit nach der Säkularisierung zur neuen Funktion der Klostergebäude als Schloss, das sie im 19. und bis ins 20. Jahrhundert innehatten.
Seit 30 Jahren indes erobert sich Bronnbach seine frühere Rolle als Klostersitz Stück für Stück zurück – im Rahmen seines Kulturprogramms, das auf leise Töne setzt und behutsam der verschwiegenen, romantischen Lage des Ortes Rechnung trägt. Die Kirche ist weiter in Funktion, und die gesamte Klosteranlage zeigt immer noch ihr Gesicht als geistlicher Ort.
Dieser ist eingebettet in und umgeben von Gärten. Sei es der Kräutergarten mit Orangerie, beide dem Kloster vorgelagert, seien es kleine Weinlagen oder der Quittenlehrpfad. Überall stößt man in Bronnbach auf Kulturlandschaft im Kleinformat. Im vergangenen Jahr wurde eine Rasenfläche zum Ausruhen, eine Rasenbank nach Art des mittelalterlichen Mönchs Albertus Magnus angelegt. Sie erinnert symbolisch an die hochmittelalterliche Wertschätzung des Gartens.
Vor drei Jahren nun begann im Kloster Bronnbach die Restaurierung des Abteigartens, der sich in ganzer Länge vor dem Westflügel erstreckt. Er war und ist der Repräsentationsgarten des Klosters. Seine Konturen sind von einer prächtigen Balustrade in Rotsandstein umgeben, wie es den örtlichen Verhältnissen entspricht. Dieser Sandstein ist zwar hart und wetterbeständig, kann aber auch reißen und instabil werden. So musste die Balustrade abgebaut und in der Werkstatt überarbeitet werden. Dasselbe Schicksal traf die Skulpturen, die ebenfalls für geraume Zeit von der Bildfläche verschwanden. Die Restauratoren richteten sich direkt im Kloster eine Werkstatt ein. Daraufhin konnte der Garten in den Schichten seiner Entwicklung erforscht werden.
Die Restauratoren hatten das Ziel, die Geschichte des Gartens möglichst zu erhalten und wieder erlebbar zu machen – bis hin zu den Pflanzen, die man auf dem Gelände vorfand. Ein großer Ahorn an seinem nördlichen Eingang blieb ebenso erhalten wie die historischen Buchsbaumhecken. Kurzerhand wurden sie auf den Stock gesetzt und treiben nun, schon hundert Jahre und länger an derselben Stelle, wieder aus. Lücken wurden aus Stecklingen nachgepflanzt. Die vier inneren Felder des Gartens zieren Rosen, historische Stauden und im Frühjahr Zwiebelblüher. Im Norden und Süden schließen sich Rasenflächen an, von Bäumen teilweise beschattet. Im Süden ist als Ausdruck unserer Zeit eine Picknickecke angelegt worden, die man im Sommer in aller Ruhe nutzen kann.
Aber verlassen wir die Vogelperspektive und betreten den Garten vom Klostergelände aus direkt durch das östliche Tor. Der erste Eindruck spiegelt die umhegte, friedliche Welt, wie sie ein Garten in seiner Idealform bietet. Das Wort „Garten“ meint ja ursprünglich das Eingefriedete. Der rote Sandstein, aus dem die barocken, geschwungenen Balustraden bestehen, gibt dem Besucher ein Gefühl von Wärme und Gediegenheit und kommt im Sonnenschein besonders eindrücklich zur Geltung.
Nach wenigen Schritten trifft man auf den Brunnen. Voller Übermut springt in seiner oberen Schale ein steinerner Fisch empor. Seine mächtige Schwanzflosse scheint beinahe in ein Pflanzenblatt auszuwachsen, als würde er am liebsten ein Teil des Gartens werden wollen. Zwei Engelsfiguren – Putten genannt – stützen ihn, und so kann das Wasser aus seinem Maul empor sprudeln. Löwengesichter leiten es in die darunter liegende Schale. Der Brunnen ist nicht umsonst der Bezugspunkt des ganzen Gartens. Wasser gehört zu einem Zisterzienserkloster wie Reben zu einem Weinberg (siehe auch Seite 97). Die Fischzucht war unter den Mönchen weit verbreitet. Zuletzt ist der Fisch auch ein altes Symbol für Christus; noch bevor das Kreuz üblich wurde, erkannten sich die Christen am Zeichen des Fisches.
So hat ein auf den ersten Blick weltliches Bild seinen geistlichen Sinn, was typisch ist für die Barocke Allegoriekunst. Denn Allegorie heißt, das Besondere im Allgemeinen zu entdecken.
Dieser Brunnen hat noch zwei kleinere Ableger: im Süden ein Becken mit Fontäne in Form eines Vierpass, im Norden ein ruhendes, rundes Wasserbecken. Dieser dreifache Umgang mit Wasser – Wasser in Bewegung, Wasser in Ruhe und Wasser, das symbolische Gestaltung zulässt –, diese drei Brunnen sind eine Besonderheit des Bronnbacher Gartens. Sie ermöglichen eine tiefsinnige Meditation über die Natur und bringen zugleich Frische und Kühle.
Ein Barockgarten weist immer über sich selbst und über seinen Ort hinaus. Das kann der Besucher auch in Bronnbach erleben, wenn er die restaurierten und wieder aufgestellten Skulpturen aus dem 18. Jahrhundert auf sich wirken lässt. Drei verschiedene Motivstränge verschränken sich hier, durchaus dem Geschmack der Zeit entsprechend: die Erdteil-, Jahreszeiten- und Tugendallegorien. Da begegnet uns ein Indianer mit Federschmuck: Amerika. Afrika hatte als Helm einen Elefantenkopf, ist aber nicht in den Garten zurückgekehrt. Asien: eine weibliche Figur im langen Gewand mit Kamel und Weihrauchfass. Europa war gerüstet und mit Kriegsbeute dargestellt, aber diese Figur ist nur noch fragmentarisch erhalten geblieben.
Die Jahreszeiten sind traditionell gefasst worden: Der Frühling begegnet uns als Göttin Flora mit Blumenschmuck. Der Sommer als Göttin der Fruchtbarkeit: Ceres, mit Sichel und Garbe. Der Herbst als mit Weinlaub umkränzter Bacchus. Und schließlich lässt ein alter Mann mit Feuer und in Winterkleidung die entsprechende Jahreszeit vor unseren Augen lebendig werden.
Diese Großfiguren werden ergänzt durch Putten mit verschiedenen Sinngehalten. Auch kleine Musikanten, dekorative Artischocken, Akanthuskörbe und Deckelvasen sind im Bronnbacher Garten aus Stein gestaltet und bringen ein zartes, spielerisches Element hinein.
Endlich lenkt der Garten den Sinn auch über Zeit und Raum hinaus in die geistigen Werte, die Tugenden. Leider haben diese Skulpturen am meisten unter dem Zahn der Zeit gelitten und sind nur noch teilweise erhalten oder aufgestellt worden.
Sehr eindrücklich ist ein bärtiger Mann, der mit der Linken eine Säule umfasst und dessen rechte Hand im Feuer ruht. Er verkörpert mutmaßlich die Beständigkeit. Eine gerüstete weibliche Figur scheint die Stärke zu versinnbildlichen. Mars taucht auf, der Krieg, in Person eines gerüsteten Mannes. Ein alter Mann mit Laterne und Eule mag die Besonnenheit, aber vielleicht auch die Klugheit repräsentieren. Nur noch Fragment ist die Freigiebigkeit mit dem Attribut des geöffneten, mit Münzen gefüllten Beutels. Eine weibliche Skulptur mit Füllhorn weist auf den Überfluss hin.
Die Besucher des Gartens haben mit all diesen Skulpturen die Möglichkeit, nicht nur Kunstsinnigkeit zu bewundern, sondern sich gedanklich mit der Welt und den großen Aufgaben des Lebens – nämlich die Seele und den Charakter zu bilden – auseinanderzusetzen. Die Blumen, Bäume und Pflanzen als unsere Lebensgrundlage erfreuen das Auge und regen zugleich zur Demut an, zu dem Bewusstsein, immer Teil der Natur zu sein, wie hochtrabend Gedanken und Tugendstreben auch sein mögen.
Der Bronnbacher Abteigarten fasziniert besonders durch seine Intimität und Stille. Ein Garten der leisen Töne, wie es auch der ganze Ort, das Kloster im lieblichen Taubertal, als großen Vorzug seinen Besuchern anbietet.