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Aushalten in der Begrenzung

Da wird es plötzlich in ausserklösterlichen Kontexten ganz mönchisch: Wir sehen den positiven Corona-Test und finden uns in Quarantäne wieder. Sogar Menschen, die in Familien leben, sollen sich zum Schutz der anderen absondern und für sich bleiben. Auf einmal wird ein quirliges Familienleben zum Kloster.

Das ist eine Zumutung im wahrsten Sinn des Wortes: Ablenkende Reize fallen aus, und gewohnte Körperkontakte wie Umarmungen sind nicht mehr möglich. Der Mensch, der sich unvorbereitet so wiederfindet, steht vor der großen Herausforderung, es mit sich allein auszuhalten. Interessanterweise kann uns auch das omnipräsente Internet nicht alle Bedürfnisse stillen, die wir als abgesonderte Menschen haben. Im Alleinsein verändert sich die Wahrnehmung, weil es kein Korrektiv von außen gibt.

„Wir kennen vier Arten von Mönchen. Die erste Art sind die Koinobiten: Sie leben in einer klösterlichen Gemeinschaft und dienen unter Regel und Abt. Die zweite Art sind die Anachoreten, das heißt Einsiedler. Nicht in der ersten Begeisterung für das Mönchsleben, sondern durch Bewährung im klösterlichen Alltag und durch die Hilfe vieler hinreichend geschult, haben sie gelernt, gegen den Teufel zu kämpfen. In der Reihe der Brüder wurden sie gut vorbereitet für den Einzelkampf in der Wüste. Ohne den Beistand eines anderen können sie jetzt zuversichtlich mit eigener Hand und eigenem Arm gegen die Sünden des Fleisches und der Gedanken kämpfen, weil Gott ihnen hilft.“ (Benediktsregel, Kapitel 1, 1-6)

Es klingt in unseren Ohren paradox: Gemeinschaftsfähigkeit ist eine absolute Voraussetzung für Einsiedler. Nur wer soziale Kompetenz geübt hat, der kann als Mönch glücklich werden. Hier wird deutlich, dass Eremiten nicht etwa Eigenbrötler oder Misanthropen sind, sondern dass sie vielmehr eine ausgebildete Persönlichkeit haben. Die Tradition begründet das mit einem für uns eher fremd gewordenen Bild: Es geht um den Kampf mit Teufeln und Dämonen. Was könnte das meinen?

Wer kennt das nicht, dass Gedanken uns nicht loslassen und irgendwann das ganze Denken beherrschen: Die Wut auf eine aussichtslose Situation, die inneren Schuldkonten, die wir anderen immer wieder innerlich aufrechnen, das Wort, das wir gern gesprochen hätten – wenn nicht dieses oder jenes dazwischengekommen wäre. Ärger, Wut und Unausgesprochenes beherrscht unseren inneren Dialog und vergiftet die Gedankenwelt. Es ist eine Versuchung, Vergangenheit ändern zu wollen, die nicht mehr zu ändern ist, und Zukunft gestalten zu wollen, die noch nicht zu gestalten ist. Dämonen verführen uns, in einer Scheinwelt zu verharren, die uns quält und immer unzufriedener macht. Sie gaukeln uns Realitäten vor, die sich aus Vorurteilen und schlechten Erfahrungen speisen.

Einsiedler dagegen sind Menschen, die sich üben, im Hier und Jetzt zu leben. Das macht den Frieden aus, den sie ausstrahlen. Sie entziehen sich dem inneren Dialog und aller Wertung und entfalten Gleichmut. Das ist eine Haltung, die inneren Frieden schenkt. Sie befreit von vielerlei Last des Haben-Wollens. Dass wir immer „Mehr“ haben können und müssen, ist ihnen als Illusion offenkundig. Daher meiden sie diese Gedankenwelt.

Die mönchische Tradition legt dem Einsiedler einen regelmäßigen Lebensrhythmus ans Herz. Dieser besteht aus dem geregelten Wechsel verschiedener Tätigkeiten. Einsamkeit will gegliedert sein. Sich in den Tag treiben zu lassen, mag im Urlaub ein gutes Tool sein, Entspannung und Erholung zu spüren. Auf die Dauer stirbt dadurch aber die Lebensenergie in eine Depression hinein. Einsiedler üben damit eine der wichtigsten Fähigkeiten für unsere heutige Gesellschaft: sie können sich selbst motivieren. Ein ausgewogener Wechsel von Arbeit, Betrachtung, Gebet, Naturerleben, Essen und Schlafen liegt dem zugrunde.

Dazu üben Einsiedler aber eine weitere Fähigkeit, die ein starker Mensch ebenso dringend zu einem gelingenden Leben benötigt: Sie nehmen sich selber und die Umstände nicht so wichtig. Sie sind gelassen, weil sie ihre Lebensgrundlage in Gott – also außerhalb ihrer selbst – glauben. Die Psychologie nennt das die Fähigkeit zur Selbstberuhigung.

Wer diese beiden Fähigkeiten übt, der kann nicht nur eine Quarantäne, sondern viele schwierige Situationen und Zumutungen aushalten. Selbstmotivation und Selbstberuhigung sind in diesem Sinn die beiden Seiten einer Medaille. Sie ergänzen einander und führen Menschen zu einem guten Leben. Der Einsiedler im spirituellen Sinn ist übrigens niemals fertig. Diese Menschen bleiben auf dem Weg, weil sie spüren, wie großartig und wie zerbrechlich zugleich das Leben ist.

 

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