Ein Rechtsbruch bereitet den Weg
Als Robert, erster Abt des Klosters Molesme, sein Kloster mit einer Gruppe von UnterstĂŒtzern verlieĂ, um in der Einsamkeit eines Feuchtgebietes am Fluss SaĂŽne, sĂŒdlich von Dijon, ein Novum Monasterium zu grĂŒnden, beging er einen klaren Rechtsbruch. Nach der Regula Sancti Benedicti dĂŒrfte er weder sein Kloster noch sein Amt verlassen. Der Vorwurf des hĂ€retischen Vorgehens begleitete den Neuanfang, und tatsĂ€chlich musste Robert zurĂŒck in sein Kloster Molesme, wo er im Jahre 1111 verstarb.
Robert war ein eifriger Vertreter einer Gruppe von Mönchen, die zu einer ursprĂŒnglicheren Auslegung der Benediktusregel zurĂŒckkehren wollten. Er floh 1098 aus dem zu Reichtum gekommenen Molesme, um einen reformatorischen Neuanfang, der nichts anderes als eine RĂŒckkehr zur angestrebten alten Regelbeachtung bedeuten sollte, zu wagen. Der Reichtum der Institution Kloster war in seinen Augen ein gefĂ€hrlicher Irrweg, und eine Abkehr von der ursprĂŒnglichen Regel, die mit dem Namen Benedikts von Nursia verbunden ist. Die Frage der Reform war also eine Frage der Regelauslegung. Robert und seine AnhĂ€nger wollten zurĂŒck zur pura regula. Die propagandistisch formulierte Heiligkeit des Textes befreite die Nachfolger Roberts nicht von der Frage, was die reine Regel eigentlich bedeutete. In dem einzigen erhaltenen zisterziensischen Regelkommentar aus dem Kloster Pontigny aus dem Jahre 1210 wird diese Frage explizit aufgeworfen.[1]
Gegen den Vorwurf Ivos von Chartres (â 1115) und anderer, die neue Gruppe lebe in eigenen, nicht öffentlichen und daher geheimen Orten nach eigenem Recht (in privatis locis proprio jure), sie seien fugitivi,[2] beharrten die Neuerer â mit Berufung auf das Decretum Gratiani Causa 19 quaestio 2 capitulum 2[3] â auf dem Vorrang der Entscheidung des Individuums (lex privata) gegenĂŒber den allgemeinen GrundsĂ€tzen (lex publica), da es letztendlich um das Seelenheil des Einzelnen gehe. Gegen den erhobenen HĂ€resieverdacht konnten die Zisterzienser erfolgreich anfĂŒhren, dass sie nach der seit Jahrhunderten anerkannten Benediktusregel und eben nicht nach eigenem, selbst geschaffenem Recht leben wollten. Der dafĂŒr notwendige Bruch der Regel bedeutete aber, dass damit â natĂŒrlich unbewusst â der Startschuss zu einem bis dato gröĂten Ordensverband mit völlig neuen administrativen Strukturen initiiert worden ist. Klöster neuen Typs entstanden, die in ambivalenter Form der Welt entfliehen wollten, aber dennoch in bisher nicht gekannter Weise mit dieser vernetzt waren und entsprechende Impulse aussendeten.
Wie könnte diese angedeutete neue Wirkmacht von Klöstern umschrieben werden? Darauf versucht Gert Melville eine Antwort zu geben.[4] Ausgehend von einer institutionell verankerten Macht, die im Kloster konsensual zwischen Abt und Konvent ausgeĂŒbt wurde, fuĂt diese auf dem grundsĂ€tzlichen Einigungswillen im Einzelkloster bzw. in einem Klosterverband auf dem Konsens aller beteiligten Klöster. Konsens als Machtfaktor bildete die Voraussetzung fĂŒr den Transport von Prestige, Kompetenz und Ansehen nach auĂen hin, etwa durch konventual gelebte monastische Frömmigkeit oder gar durch individuelle Heiligkeit. Die damit im besten Falle erreichte Ăberzeugung der Laienwelt evozierte eine Wirkmacht nach auĂen, welche von jener nach innen hin zu unterscheiden ist. Der inquisitorischen Macht nach innen, gegenĂŒber Konventsangehörigen, steht eine solche nach auĂen hin gegenĂŒber: die Klöster konnten als Licht der Welt wahrgenommen werden.
Schöpferisches Potenzial
Diese Potenz kann nach Melville als Handlungs- und Gestaltungsmacht verstanden werden. Sie bildet das schöpferische Potential eines Klosters bzw. eines Ordens.[5] Dabei wird von zwei Innovationsvermutungen ausgegangen:
- Klöster und Orden haben ihre auĂerordentliche Festigkeit durch Leistungen mit hohen innovatorischen Potentialen, die sowohl nach innen wie nach auĂen hin wirken, fundiert.
- Die Wirkmacht der Klöster/Orden zeichnet sich durch ein Spektrum von gesellschaftlichen Interaktionen gegenĂŒber dem weltlichen und kirchlichen Umfeld aus. Diese hat eine passive Komponente, um Einwirkungen von auĂen auf den Konvent abzufedern und damit den inneren Lebensformen gegebenenfalls anzupassen: Das einmal gewonnene Prestige eines Klosters etwa kann langlebiger als kurzfristige Einwirkungen bzw. ErschĂŒtterungen von auĂen sein. Die Wirkmacht besitzt darĂŒber hinaus eine aktive Komponente, wenn die im Inneren erzeugten KrĂ€fte ĂŒber die Klostermauern hinweg die Umgebung umgestalten, sei es durch aktives Handeln oder durch Belehrung (Seelsorge, Predigt).
Somit wirken die Klöster als alternative Modelle sowohl mit Hilfe ihrer institutionellen Ordnungen als auch mit ihren medialen Kompetenzen und schlieĂlich mit ihren gemeinschaftlichen Konzepten, die sich zu attraktiven Angeboten fĂŒr das AuĂen transformieren können.
Schriftlichkeit und Institutionalisierung
Die Basis des Erfolges der Zisterzienser lag wohl zentral im konsequenten Einsatz von Schriftlichkeit. Da ein charismatischer GrĂŒnder fehlte, musste sich die neue Gruppe auf eine allseits akzeptierte normative Grundlage einigen, was zunĂ€chst auf der Basis der Carta caritatis geschah. Darin wurden das VerhĂ€ltnis zwischen CĂźteaux und seinen Tochterklöstern, die regelmĂ€Ăige Visitation sowie der zwingende Besuch des Generalkapitels geregelt.[6]
Bei den Zisterziensern entstand ein transpersonaler Ordensverband â und das war neu â mit bisher unbekannten institutionellen Formen: mit einem Generalkapitel, fester Ordensprovinzialgliederung und regelmĂ€Ăigen Visitationen. Dies fĂŒhrte â und das war erneut innovativ â zu einer versachlichten Ordensleitung. Der Orden hatte seine eigene Gesetzgebung, sein ius proprium, das in den Ordensstatuten grundgelegt wurde. Die Gesetzgebung lag in HĂ€nden des Generalkapitels. Letzteres war ein reprĂ€sentatives und auf Konsens ausgelegtes Entscheidungsorgan des Ordens. Die dort zusammentreffenden Ăbte â unter der Leitung eines Generalabtes â konnten in allmĂ€hlich sich herausbildenden förmlichen Rechtsverfahren zahllose ordensinterne Regelungen treffen. Mit dem Instrument der Visitation war eine Möglichkeit geschaffen, das klostereigene Recht vor Ort, d.h. in den einzelnen Klöstern, zu ĂŒberwachen. Dieses permanente BemĂŒhen um eine uniforme Ordnung (uniformitas) rieb sich aber an der realen VielfĂ€ltigkeit der weltlichen Gegebenheiten, ihrer diversitas.
Die von den innovativen Ordensstrukturen ausgehenden VerÀnderungen sollten sich bis in die heute akzeptierten europÀischen weltlichen Regierungsformen bzw. Herrschaftsverfahren fortsetzen, nÀmlich in der selbstverstÀndlichen Differenzierung zwischen Amt (Generalabt) und Person bzw. zwischen Kontroll- (Visitation) und Entscheidungsinstanzen (Generalkapitel). Dabei gelang es den Zisterziensern auch, ein erstes förmliches Steuerungsverfahren bei rechtlichen Fragen zu entwickeln, um damit eine im 12. und 13.
Jahrhundert einzigartige Nachhaltigkeit in der Entscheidungsfindung und -durchsetzung zu erreichen. Der schriftliche Niederschlag dieser ordensinternen förmlichen Verfahren hat sich bis in die Gegenwart durch die Statuten und deren Kommentare in seriellen Quellen erhalten. Förmliche Verfahren etwa zu Besitzstreitereien oder externen Ăbergriffen auf einzelklösterliche Rechte bedeuteten auch immer eine Herausforderung zur Reduktion der KomplexitĂ€t der Einzelereignisse auf wenige Kardinalpunkte, um sie damit förmlich und effektiv entscheiden zu können. Dabei entstand am Anfang die inquisitorische Untersuchung des Einzelereignisses in den Visitationsprotokollen, dessen Ergebnis â unter Heranziehung von Zeugenbefragungen â dem Generalkapitel vorgelegt wurde. Dort wurde dann eine Entscheidung in Form von Definitionen (definitiones) gesucht, im Idealfalle ordensintern, aber bisweilen unter Anrufung von PĂ€psten, Königen und FĂŒrsten. Durch diese Verfahrensroutine wurde nicht unwesentlich die StabilitĂ€t des Zisterzienserordens gewahrt.[7] Gleichzeitig wurde an die Welt signalisiert, dass jeder Angriff auf ein einzelnes Zisterzienserkloster eine Reaktion des Gesamtordens nach sich ziehen könnte.
Landwirtschaft und Infrastruktur
Neben diesen neuen institutionellen Formen sind mit den Zisterziensern â wie auch mit den zeitgleichen PrĂ€monstratensern â neue innovative Wirtschaftsformen verbunden. Dabei zeigen sich erhebliche Unterschiede in der Umsetzung bei den Einzelklöstern, sobald man die normative Ebene wirtschaftlicher Vorgaben verlĂ€sst. Die Eigenbewirtschaftung der LĂ€ndereien durch Konversen[8] bedeutete, zumindest in der FrĂŒhphase, die EinfĂŒhrung neuer Bewirtschaftungsformen, welche zunĂ€chst nur noch bei den PrĂ€monstratensern zu finden waren. Durch verstĂ€rkte Arrondierung von Grundbesitz strebte das Einzelkloster â in seiner jeweiligen singulĂ€ren Lage â nach dem Aufbau eines zusammenhĂ€ngenden Klosterbesitzes. Zugleich wurde eine neue Infrastruktur mit Versorgungszellen aufgebaut: StraĂen als Verbindung zu den AbsatzmĂ€rkten in den StĂ€dten, MĂŒhlen als Maschinen zur Mechanisierung und Beschleunigung von ArbeitsablĂ€ufen, DĂ€mme zum Schutz fĂŒr landwirtschaftliche AnbauflĂ€chen vor Ăberschwemmung, Stadthöfe fĂŒr die Direktvermarktung. Ein Zisterzienserkloster stand im engen Austausch mit der Welt, die RĂŒckwendung an eine ursprĂŒngliche Regel mit einem entsprechenden demĂŒtigen monastischen Leben schlieĂt ein innovativ-positives Handeln in der Welt nicht aus.
Im Mittelpunkt standen groĂe agrarische Einheiten wie Grangien (bei PrĂ€monstratensern: Curiae), die eine effizientere Bewirtschaftung erlaubten und damit auch höhere ErtrĂ€ge, die neue Absatzformen wie die bereits erwĂ€hnten Stadthöfe eröffneten. Dort, direkt beim Konsumenten, konnte nun die Ware, unter Ausschaltung eines Zwischenhandels, verkauft werden. Das bedeutete aber auch, dass beide Orden auf die StadtgrĂŒndungswelle des 12. und 13. Jahrhunderts reagierten. Klöster sind also, trotz der Suche nach der Weltabgeschiedenheit, immer mit der Welt verbunden. Die Anlagestrategien von Klöstern bevorzugten die NĂ€he von GewĂ€ssern, nicht nur um frisches Wasser zu haben, sondern auch um die Maschinen des Mittelalters, die MĂŒhlen, effektiv einzusetzen. Anbau, Vertrieb und Absatz zeigten also AnsĂ€tze protoindustrieller Strukturen. Diese Bewirtschaftung funktionierte nur so lange, wie innerklösterliche Bearbeiter, die bereits erwĂ€hnten Konversen, die Landwirtschaft ĂŒbernahmen. Trotz aller normativer Aussagen waren es nicht die Zisterziensermönche selbst, die arbeiteten: sie lieĂen in vielen FĂ€llen arbeiten.
Macht und MaĂlosigkeit
Einzelne Zisterzienser wie PrĂ€monstratenser traten als Wirtschaftsmanager auf, welche die GroĂbetriebe der Grangien leiteten und dabei so erfolgreich sein konnten, dass ihre Oberen die Notbremse zogen und sie, um ihr Seelenheil besorgt, fĂŒr andere Aufgaben einsetzten. In Caesarius von Heisterbachs (1180 bis 1240) Dialogus Miraculorum wird von einem Steinfelder Abt berichtet, der einen sehr tĂŒchtigen Konversen als Leiter eines klostereigenen Wirtschaftshofs besaĂ.[9] Dieser vermehrte bestĂ€ndig die Besitzungen und verwaltete die LĂ€ndereien tadellos, wobei er stets danach trachtete, möglichst hohe ErtrĂ€ge und Gewinne zu erzielen. Dieses fĂŒr uns Heutige durchaus nachvollziehbare Verhalten fĂŒhrte in der ErzĂ€hlung des beginnenden 13. Jahrhunderts zu einer völlig anderen Bewertung: Trotz des Protestes der MitbrĂŒder entsetzte der Abt diesen in unseren Augen tĂŒchtigen Wirtschaftsleiter von seinem Amt, da er ihm Geiz und MaĂlosigkeit vorwarf. Der Wirtschaftsleiter war kein Mönch, sondern ein Konverse des Klosters, d.h. er lebte auĂerhalb des Konventes in einem anderen Klosterbereich â noch heute sichtbar beispielsweise in Chorin â mit anderen ein ebenfalls gewissen religiösen Normen unterworfenes Leben, blieb aber in einer Zwischenstellung zwischen Laien- und Mönchsstand, die ihm erlaubte, in der Welt fĂŒr das Stift bzw. Kloster zu arbeiten. Der Propst rechtfertigte seine MaĂnahme mit dem Schutz des Seelenheils des Konversen, fĂŒr das er mitverantwortlich wĂ€re. Als der Kölner Erzbischof denselben Konversen, wohl ein besonders herausragender Verwaltungsfachmann und Ăkonom, zur Reformierung fĂŒr einige desolate erzbischöfliche Wirtschaftshöfe aus Steinfeld âausleihenâ wollte, lehnte der Propst konsequenterweise ab.[10] Die âkapitalistische Wirtschaftsgesinnungâ hatte zumindest fĂŒr ihn eine Grenze in der Bewahrung des Seelenheils â aber interessanterweise nicht mehr fĂŒr alle seiner Zeitgenossen! Ein neues Denken im ökonomischen Sektor machte sich in Europa breit, Zisterzienser wie PrĂ€monstratenser wirkten dabei mit!
Der erwĂ€hnte Auszug aus dem Dialogus wie auch die zisterziensischen Generalkapitelsstatuten oder Autoren wie Stephan von Tournai (1128-1203) bzw. Giraldus Cambrensis (ca. 1146-1223) geben dazu höchst informative Einblicke.[11] Die intensiven LandkĂ€ufe sowie der Tausch von LĂ€ndereien, ferner die Ablösung von fremden Grundlasten und Herrschaftsrechten sowie die planmĂ€Ăige WĂŒstung von âungĂŒnstigâ gelegenen Ortschaften auf Kosten der dortigen Bewohner wurden kritisiert.[12] Das aus einer rigoristischen Askese heraus gebildete Arbeits- und Leistungsethos scheint sein irdisches Ziel in einer Akkumulation von BesitzgĂŒtern fĂŒr das Kloster gesehen zu haben. Hier wĂ€re eine erstaunliche Spannung von scheinbar GegensĂ€tzlichem sichtbar!
Zisterzienserklöster nutzten die stĂ€dtische Geldwirtschaft und â dies zeigen englische Beispiele â machten TermingeschĂ€fte, indem sie bei Wolle auf eine zukĂŒnftige Erhöhung des Preises wetteten und in diesem Zusammenhang auch Kredite vergaben. Somit kam es zu einer Einkommensoptimierung, ferner einer IntensitĂ€ts- und QualitĂ€tssteigerung unter verstĂ€rkter Einbeziehung einer genauen BuchfĂŒhrung. Dies sind ökonomische Gegebenheiten, die heute gang und gĂ€be sind, deren Wurzeln aber kaum in klösterlichen Wirtschaftsstrukturen des 12. und 13. Jahrhunderts gesucht werden wĂŒrden.[13]
Die weite Verbreitung zisterziensischer Klöster wurde auf der Basis eines ausgeklĂŒgelten Netzwerkes mit Adeligen und BĂŒrgern erzielt. Die Ministerialen der babenbergischen Markgrafen und Herzöge von Ăsterreich etwa, die Kuenringer, bauten so um Wien herum einen groĂen Verbund von Zisterzienserklöstern auf, der dem Landesausbau entscheidende Impulse gab. Persönliche Bindungen und Gemeinschaftsvorstellungen sind weitere wirkmĂ€chtige Angebote von monastischen Institutionen.[14] Exemplarisch zeigt sich dies beim Aufbau einer zisterziensischen Klosterlandschaft in Ăsterreich, die 1133 mit der GrĂŒndung Heiligenkreuz begann und sich 1138 mit Zwettl fortsetzte. Im Zwettler Liber fundatorum aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts wird in einer modellhaften Form die entstandene Klosterlandschaft idealtypisch uminterpretiert und graphisch dargestellt.[15] Durch die beteiligten adeligen wir bĂŒrgerlichen Stifterfamilien entstand ein gesellschaftliches Netzwerk von Förderern, die das politische Ăberleben der Klöster sicherten.
Eine vergleichbare Wechselwirkung zwischen Innen und AuĂen, zwischen monastischer SpiritualitĂ€t und personalen Netzwerken, zeigt sich bei dem Ă€ltesten Zisterzienserkloster östlich des Rheins, in dem 1127 gegrĂŒndeten Ebrach, das fĂŒr den Ausbau des Steigerwaldgebietes wertvolle Arbeit leistete. Und auch Bronnbach, 1151 gegrĂŒndet,[16] hat fĂŒr den Ausbau der Kulturlandschaft im Taubergebiet Erhebliches geleistet. Freilich erforderte dies immer ein intensives Kontaktfeld mit der Umgebung. Geistliche Institutionen hatten aber nicht nur Einfluss auf die urbane und stĂ€dtische Entwicklung, sondern auch auf das Land. Die rĂ€umliche Ausdehnung von Herrschaft prĂ€gt die Kulturlandschaft bis heute. Landschaft wird als vom Menschen verĂ€nderbar und bis in das 18. Jahrhundert hinein als ausnutzbar betrachtet. Der Wald hat keine romantische Erholungsbedeutung, sondern ist ökonomisch einsetzbar, um Nachfragen bis zu weit entfernten MĂ€rkten zu befriedigen, die Wiesen dienten fĂŒr die Viehzucht, die GewĂ€sser fĂŒr den Fisch- und Krebsfang.
EuropÀisches Handeln und regionale AbhÀngigkeit
So entstand letztlich ein europaweites Netz, so dass bereits in der Mitte des 12. Jahrhunderts ĂŒber 340 Zisterzen zu finden sind.[17] Diese Weite war jedoch von den Gegebenheiten der unmittelbaren Umgebung immer wieder gefĂ€hrdet, so dass jedes Einzelkloster in einem sich stĂ€ndig verĂ€ndernden Spannungsfeld zwischen Region, Diözese und Ordensprovinz lag, oder anders ausgedrĂŒckt, zwischen Generalkapitel, Diözesanbischof und benachbarten Adeligen, die eine Zisterze in vielfĂ€ltiger Weise nĂŒtzen wollten, sei es als Grablege, als Ort fĂŒr Stiftungen oder als Bereich der gewalttĂ€tigen Bereicherung. Die Geschichte Bronnbachs zeigt dies beispielhaft und nachdrĂŒcklich.
Im Kampf zwischen der vom Gesamtverband erstrebten uniformitas mit der regionalspezifischen diversitas gab sich der Orden eine Form eigener europĂ€ischer IdentitĂ€t. Damit standen zugleich Norm und RealitĂ€t im SpannungsverhĂ€ltnis von KontinuitĂ€t und Wandel. Dieses zeigt sich erneut auch an Bronnbach, denn die Zahl der nachweisbaren Generalkapitelsbesuche ist beispielsweise sehr gering. Die Norm der regelmĂ€Ăig geforderten Generalkapitelsreise stand der RealitĂ€t der jeweiligen Zeitströme entgegen, die genau solche verhinderten.
Ein sichtbares und zugleich zusammenfassendes Symbol war das Ordenswappen der Zisterzienser, ein geschachteter SchrÀglinksbalken. Diese Einheitlichkeit wird jedoch recht bald durch klosterindividuelle ZusÀtze verÀndert: in Bronnbach war es die hl. Maria und eine aufflatternde Lerche, die den Platz des Klosters angezeigt haben soll.
Die neuen Kommunikationsstrukturen sowie deren TrÀger ermöglichten einerseits eine neue zusammenfassende Sicht auf den Orden und seine Glieder. Dabei zeigen sich andererseits Brechungen mit anderen, Àlteren kirchlichen Raumerfassungen, denn Ordensgliederung und Diözese standen in der Regel in einem schwer aufzuhebenden SpannungsverhÀltnis.
Eine neu gegrĂŒndete Zisterze hat eine besondere Bindung zum Herkunftsort seines GrĂŒndungskonventes, der meist aus einem Ă€lteren Zisterzienserkloster kam. Letztlich wurde damit eine Abstammungskette (linea) bis hin zu den vier von CĂźteaux direkt gegrĂŒndeten groĂen zisterziensischen GrĂŒndungsabteien Morimond, Clairvaux, Pontigny und La FertĂ© konstruiert und schriftlich festgehalten. Diese AbhĂ€ngigkeit stand im stĂ€ndigen Kontrast zu den Bindungen der einzelnen Zisterzen zu ihrer direkten politischen wie sozialen Umgebung. In Bronnbach wird die Situation in der Anfangszeit zudem verkompliziert, weil der GrĂŒndungskonvent nicht aus der Mutterabtei Maulbronn, sondern aus Waldsassen kam. Dies wird damit begrĂŒndet, dass das ebenfalls erst kurz vor Bronnbach gegrĂŒndete Kloster Maulbronn wegen Mangel an Mönchen keinen GrĂŒndungskonvent abstellen konnte. Trotz dieses anfĂ€nglichen Mankos konnte sich Maulbronn letztlich gegenĂŒber Waldsassen durchsetzen. So lautete die offizielle linea fĂŒr Bronnbach: CĂźteaux â Morimond â Bellevaux â LĂŒtzel â Neuburg â Maulbronn.[18]
Auch wenn der Zisterzienserorden ein europaweit agierender Klosterverband war, so mussten die einzelnen Klöster mit den politischen, rechtlichen und sozialen Bedingungen ihrer Umgebung zurechtkommen. Damit kamen sie aber auch in andere Kommunikationsnetze, in denen sie sich zu bewÀhren hatten.
Bronnbach war zugleich ein heiĂ umstrittener Ort der Herrschaft fĂŒr die Hochstifte und BistĂŒmer Mainz, WĂŒrzburg sowie der Grafschaft Wertheim. Bereits bei der GrĂŒndung hat das Erzstift mit seinem Erzbischof Arnold (1153-1160) vielfĂ€ltig Einfluss genommen, WĂŒrzburg dagegen beanspruchte fĂŒr sich â sicher seit etwa 1180[19] â, der oberste Ordinarius ĂŒber Bronnbach zu sein und die Grafen von Wertheim handelten seit den 1350er Jahren als Schutzherren des Klosters. Und auch das staufische Königtum versuchte mit dem Kloster seinen Einfluss im Main-Tauber-Raum zu vergröĂern.[20]
Die Geschichte Bronnbachs wurde an anderer Stelle bereits ausfĂŒhrlich geschildert.[21] Die AusfĂŒhrungen können jedoch zeigen, dass die zisterziensische Norm wesentliche Innovationen in den Bereichen Regierungsformen und Wirtschaftssysteme vorausdachte, die durch die europaweite Verbreitung des Ordens eben auch das abendlĂ€ndische Europa insgesamt mitprĂ€gten. Auf der anderen Seite war die einzelne Zisterze in der lebensweltlichen Praxis immer von ihrer unmittelbaren Umgebung geprĂ€gt. Diese Spannung macht die einzigartige Geschichte des Gesamtordens wie auch des Einzelklosters aus. Gleichzeitig brachte sie einen europaweit spĂŒrbaren Innovationsschub in ökonomischen wie administrativen Bereichen, womit die WirkmĂ€chtigkeit von Klöstern eindrucksvoll bestĂ€tigt wĂ€re.