»Der Ort im Kloster, wo man Gott am nächsten ist, ist nicht nur die Kirche, sondern der Garten. Dort erfahren die Mönche ihr größtes Glück.«
Es erstaunt zu erfahren, dass dieses Zitat aus ganz alter Zeit zu uns herübergekommen ist. Es wird dem heiligen Pachomius (ca. 292- 346) zugeschrieben, der im vierten Jahrhundert die ersten Klöster mit gemeinschaftlichem Leben in Ägypten gründete. Er war Soldat, bevor er Mönch wurde, und entsprechend militärisch war auch die äußere Organisation seiner Klöster. Doch scheint er wohl gerade als Soldat eine besondere Beziehung zum friedlichen Leben im Garten gehabt zu haben. Und eine hohe Wertschätzung des Gartens begleitet die gesamte Entwicklungsgeschichte des christlichen Klosterwesens bis heute.
Wir wollen ein wenig beim Motiv des Klostergartens verweilen anhand eines Bildes, das einen neuen, besonderen Garten zeigt. Es ist der sogenannte Christliche Garten, und dieser liegt in einem sonst nicht so sehr beachteten Stadtteil Berlins, nämlich in Marzahn. Dort gibt es die bezaubernde Anlage der Gärten der Welt, und nachdem schon viele Jahre besonders die unterschiedlichen asiatischen Gärten die Besucher in den Bann ziehen, ist erst vor kurzem dieser christliche Garten entstanden.
Wenn wir uns diesen christlichen Garten genauer ansehen, kommen wir auf den Gedanken, dass dieser Garten die Form eines klösterlichen Kreuzgartens angenommen hat. Er ist im Quadrat angelegt und von einer Architektur umschlossen, die unschwer an den klösterlichen Kreuzgang erinnert, in dessen Mitte sich zumeist ein Garten befindet. Dieser Garten war schon im Mittelalter ein künstlerischer, symbolischer Garten, zumeist mit einem Kreuz oder Brunnen in der Mitte. Er diente nicht so sehr der Versorgung der Klosterinsassen, sondern dem Gebet und der Sammlung. Im Vergleich zu den anderen Gärten in Marzahn fällt auf, dass er besonders artifiziell wirkt. Seine Begrenzung ist nicht nur durch eine umlaufende Hecke gegeben, sondern durch ein ungewöhnliches metallenes Wortgeflecht. Dies gibt es nur hier, nicht aber in historischen Vorbildern der Klostergärten. Ein Garten, umgeben von Worten. Mir hat dies sehr zu denken gegeben.
Dieser Garten kann uns einige Anregungen geben. Das Christentum ist zweifellos eine Religion des Wortes. Christus, der Sohn Gottes, wird in der Theologie als der Logos, als das Wort des Vaters identifiziert. So heißt es beispielsweise im Johannesevangelium: »Im Anfang war das Wort. (…) Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.«
Wenn wir diesen Garten nun mit einem klassischen Kloster vergleichen, dann können wir eine weitere Parallele entdecken: Im Kreuzgang, der den Garten umgibt, gab es ursprünglich Bänke, die zur Lesung gedacht waren. Die mittelalterlichen Mönche lasen leise murmelnd, daher kann man sich den Klostergarten durchaus als von geistlichen Worten umweht vorstellen.
Der Garten ist für den biblischen Menschen das verlorene Paradies, der Garten Eden, den zu betreten Adam und Eva nach dem Sündenfall verwehrt war. Und wirklich finden wir sehr häufig auch die Bezeichnung Paradiesgarten für diesen urbildlichen klösterlichen Garten. Mit seinen vier Seiten kennzeichnet er die vier Himmelsrichtungen und vier Elemente, wie überhaupt die 4 die Symbolzahl der Schöpfung ist, nach 1 und 3, die göttlichen Eigenschaften verkörpern und die 2 die beiden Naturen in Christus. Dass nun die Mönche dieses kleine Paradies mit heiligen Worten und Gesängen umgeben, ist eine schöne Vorstellung: Sie hüten das Paradies und schützen es durch das Wort. Auf der anderen Seite mag das massive Metallgeflecht auch die Macht des Wortes versinnbildlichen.
Freilich gibt es heute mehr und mehr einen Überdruss am Wort. Die Welt ist überschwemmt von einem nicht mehr endenden Wortschwall, der sich in den Glasfaserkabeln und elektromagnetischen Wellen bis in die letzten Winkel des Lebens ergießt. Jedes Wort, ob aufbauend oder zerstörend, kann an jedem beliebigen Punkt der Erde abgerufen werden. Und hier haben die Klostergärten als Horte der Sammlung (von hortus = Garten) des nicht unbedacht geäußerten Wortes einen aktuellen, sehr hohen Wert.
Sie verweisen uns auf die Betrachtung Gottes in seiner Schöpfung, die ein stetes Loblied singt. Einer Schöpfung, die sich ohne jede Klügelei und Geschwätzigkeit ihrem Schöpfer zuwendet. Das ist Klosterleuten besonders bewusst, denn sie verbringen einen beträchtlichen Teil ihres Lebens mit dem Singen der Psalmen (19, 1-5), wo es unter anderem heißt:
»Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament. Ein Tag sagt es dem andern, eine Nacht tut es der andern kund, ohne Worte und ohne Reden, unhörbar bleibt ihre Stimme. Doch ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus, ihre Kunde bis zu den Enden der Erde.«
Kirche und Garten sind im Kloster eng benachbart. Vielleicht ist tatsächlich der Garten jener Ort, an dem der Mönch sich im Schweigen und Hinschauen auf die Wunder der Schöpfung am freiesten seinem Schöpfer zuwenden kann. Dies wird uns umso deutlicher, als der heilige Benedikt in seiner Regel den täglichen Gottesdienst als servitutis pensum (Regula Benedicti 50, 4) bezeichnet, als eine Dienstpflicht, die dem Mönch auferlegt ist. Im Gottesdienst sind die Worte aus der heiligen Schrift vorgegeben und nach Benedikt ist es die Aufgabe, sie nicht von sich aus zu vermehren, sondern ihnen sein Inneres anzugleichen.
Im Garten nun ruht der Geist aus, und die Arbeit mit den Händen an Hege und Pflege dieses kleinen Paradieses erweist sich als heilsamer Kontakt mit der ursprünglichen conditio humana, also mit jenem ursprünglichen inneren Frieden, der dem Menschen zugedacht war, und aus dem er sich durch den Hochmut seines Geistes herauskatapultiert hat.
Hier, im Garten, steht er nach seinem hybriden, missglückten Höhenflug nun endlich wieder auf der dampfenden Erde, im Duft der Blumen und Kräuter, und lauscht diesem stillen Lobgesang voller Bewunderung und in der Sehnsucht, auch daran teilzuhaben. Dem Weisen genügt’s!