Zu den wichtigsten kulturellen und zivilisatorischen Leistungen des abendländischen Klosterwesens gehört das Vermögen, schriftliche Formen und damit eine neue und weit in die Zukunft reichende Systematik in alle Bereiche des wirtschaftlichen Lebens einzuführen. Die hohe Kultur der Schriftlichkeit kann geradezu als ein Markenzeichen des europäischen Mönchtums bezeichnet werden. Das wird bereits in der Regel des Heiligen Benedikt von Nursia aus dem 6. Jahrhundert deutlich, die zu den wichtigsten Grundlagen des abendländischen Mönchtums gehört. Der Abt soll die Werkzeuge und Geräte des Klosters nur Brüdern anvertrauen, die charakterfest sind – also sorgsam damit umgehen. Darüber hinaus soll der Abt auch ein Verzeichnis (breviarium) anlegen, damit er weiß, was er ausgegeben und zurückerhalten hat, falls sich Brüder bei bestimmten Aufgaben ablösen (Benediktusregel, Kapitel 32).
Vieles, was noch vor Jahrzehnten durch die populäre und wissenschaftliche Literatur als besondere Leistungen der Mönche breit dargestellt wurde, ist durch neuere Forschungen relativiert worden. So bezeichnete der bedeutende brandenburgische Schriftsteller Theodor Fontane (1819–1898) die Zisterzienser noch als Orden der Kolonisation, die mit dem Kreuz in der Linken, mit Axt und Spaten in der Rechten die Kultur in die brandenburgische Wildnis gebracht hätten. Doch diese vereinfachte Sicht ist in die Kritik geraten, wobei aber
»(…) extreme Wertungen nicht haltbar sind. Die Zisterzienser zogen weder als Kolonisatoren in die Einöde, um dort für die Bauern Mustergüter zu errichten, noch waren sie satte und bequeme Mönche, die sich gewissermaßen in das gemachte Nest setzten und dieses von anderen ausbauen ließen. Sie haben ihre Umwelt nach ihren Vorstellungen geordnet, und diese Vorstellungen waren wirtschaftlich auf der Höhe der Zeit, den Intentionen der Mönche der Gründerzeit entsprachen sie in vielerlei Hinsicht allerdings nicht mehr.«[i]
Die Tätigkeit der geistlichen Orden, die Umwelt nach ihren Vorstellungen zu ordnen, führte zu fortwährend erweiterter Buchführung – die ja ihre Grundlage bereits in der zitierten Regel des Heiligen Benedikt hatte, immer ordentliche Listen zu führen. Im Laufe der Jahrhunderte gelang es ihnen immer ausgefeilter, »die Schrift systematisch als Speichermedium zu nutzen« und innovativ in ihren Rechts- und Verwaltungstexten einzusetzen.[ii]
Desto erfolgreicher die Klöster wurden, umso mehr stiegen die Ansprüche der Buchführung: »Wirtschaftsunternehmen, wie sie von den Zisterziensern errichtet wurden, bedurften einer exakten Betriebsführung, um auf Dauer zu bestehen. Eine frühe Anleitung haben wir in der Wirtschaftsordnung des Abtes Stephan Lexington für das Kloster Savigny aus dem Jahre 1230 vorliegen.« Sie galt auch »(…) für die auf den Grangien tätigen Konversen, die regelmäßig Rechnung legen mußten über alles, was ihnen innerhalb und außerhalb des Hauses unterstand. Alljährlich wurde ein Arbeitsbericht gefordert, aus dem hervorgehen sollte, in welchem Ausmaß sich die Wirtschaft in dem jeweiligen Bereich verbessert oder verschlechtert hatte. (…) Schließlich sollte einmal jährlich im Spätherbst vor dem Abt und dem Konsilium des Hauses eine Gesamtrechnung gelegt werden, bei der festzustellen war, welcher Nutzen künftig zu erwarten sei.«[iii]
In den auswärtigen Besitzungen der Klöster begann eine eigene Buch- und Rechnungsführung. So gab es im Fritzlarer Stadthof des Klosters Hardehausen einen Meister, der sich auf Schriftlichkeit spezialisiert hatte (magister specialiter habet in scripto): »Die zahlreichen Verpachtungen und vielfältigen Abgabenverhältnisse im städtischen Bereich machten es oft erforderlich, daß über sie nicht wie bei den üblichen agrarischen Besitzungen im Kloster, sondern im Stadthof Buch geführt wurde. In Klosterurbaren findet sich bei solchen Städten die Eintragung: die Einzelheiten, die Namen und Lage der Immobilien, die Besitzer und ihre Abgabenverpflichtungen führt der Hofmeister in seinem Buch, oder kurz: magister specialiter habet in scripto.«[iv] Sicher konnten derartige Formen der Wirtschaftsführung auch auf andere Betriebe oder wirtschaftliche Aktivitäten in den Städten vorbildlich wirken.
Ein eindrucksvolles Zeugnis für die Tatsache, dass sich Klöster an den in ihrer Zeit modernsten Methoden der Verwaltung orientierten, ist der sogenannte Neuzeller Stiftsatlas. Der für das Kloster Neuzelle in der Zeit zwischen 1758 und 1763 nach Vermessungen des Stifts unter den Äbten Martin und Gabriel angefertigte Atlas ist sorgfältig von Hand gezeichnet und feinfühlig koloriert. Er enthält unter anderem einen Generalplan des Stifts und detailreiche Karten der Stiftsdörfer mit ihren Fluren. Ein zweiter Band des Atlaswerkes enthält eine Beschreibung des Neu-Zellischen Stifts-Territorii 1760 mit Auszügen aus den Vermessungsregistern und Beschreibungen der verschiedenen Klosterbesitzungen[v]:
»Die Vermessung aller Liegenschaften und die Anlage von Feldregistern zeigt, wie wichtig das Kloster eine gute Verwaltung im 18. Jahrhundert nahm. Krönung der Arbeiten ist der Neuzeller Stiftsatlas, in dem die meisten Dörfer der Herrschaft kartographiert und verzeichnet sind und der heute zu den Kostbarkeiten der Deutschen Staatsbibliothek Berlin zählt.«[vi]
Hinweise auf solche Methoden der Systematisierung und medialen Vermittlung von Wissen zeigen sich im klösterlichen Umfeld sehr zeitig. So stellen verschiedene Autoren in dem 1996 erschienenen Sammelband L’hydraulique monastique zwar fest, dass die wasserbaulichen Techniken von Mönchen im Mittelalter nicht als eigene Erfindung aus den Klöstern gelten können. Jedoch zeugen sie davon, dass sie ihre Umwelt genau beobachteten und das erlernte Know-How nutzen, weiterentwickeln und vor allem in weitere Klöster rasch verbreiten konnten. Gerade in Letzterem lag offensichtlich der Schwerpunkt klösterlicher Innovationstätigkeit. Die Mönche vermochten es, vorhandene Techniken politisch-organisatorisch zu systematisieren, wobei sie nicht zuletzt auf ihre Möglichkeit des rationellen Einsatzes von Schriftlichkeit zurückgreifen konnten. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist beispielsweise das Wirken der Zisterzienser in der Moorlandschaft des Poitou:
»Nach den begrenzten und gewissermaßen ungeordneten Trockenlegungen der Vorzeit führten die weißen Mönche ab 1180-1190 zusammenhängende Entwässerungspläne ein, die im Rahmen der Abstimmungen zwischen ihren Abteien oder Gemeinlehnschaftsverträgen mit den weltlichen Lehnsherren von Marans, Chaillé und Luçon durchgeführt wurden. Sie verbesserten die Technik des entwässerten Arreals.«[vii]
Wie genau von den Klöstern aus technische Neuigkeiten beobachtet wurden, zeigt eine Zeichnung einer Mühle in dem Werk Hortus Deliciarum (Garten der Köstlichkeiten) der Herrad von Landsberg, die als herausragende Äbtissin des Klosters auf dem Odilienberg im Elsass im 12. Jahrhundert wirkte.[viii]
Auch weltliche Herrscher griffen selbstverständlich auf die besonderen Fähigkeiten von Geistlichen zurück, herrschaftliche Akte schriftlich festhalten zu können. Über das Mittelalter hinaus war diese Kunst von zentraler Bedeutung für das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaften. An den fürstlichen Höfen arbeiteten zur Verfassung von Schriftstücken vor allem Stiftsgeistliche, die nicht in klösterlicher Abgeschiedenheit wirkten, aber oft in Klöstern ausgebildet worden waren. Der französische Historiker Georges Duby (1919-1996) bemerkte hierzu: Die Fürsten
»(…) brauchten auch Geistliche, gebildete Leute, die nicht von der Welt isoliert leben und sich nicht nur mit dem Beten beschäftigen, sondern ihnen helfen, ihre Rechnungsbücher zu führen und die Schriftstücke aufzusetzen, ohne die der wiedererstehende Staat nicht mehr auskommt.«[ix]
Das enge Verhältnis von Mönchen und Nonnen zum geschriebenen Wort konnte allerdings auch – und das soll an dieser Stelle keineswegs verschwiegen werden – merkwürde, mitunter kriminelle Blüten treiben. Aus etlichen Klöstern und anderen geistlichen Einrichtungen sind uns bis heute gefälschte Urkunden in großer Zahl überliefert, die bereits mehreren Generationen von Historikerinnen und Historikern reichlich Rätsel aufgegeben haben. So wurden im Kloster Dobrilugk mehrere Urkunden angefertigt, die angeblich Markgraf Konrad II. und Markgraf Dietrich der Bedrängte um 1200 ausgestellt haben sollen. Sie sollten in jüngerer Zeit den Mönchen bei Streitigkeiten mit ihren Nachbarn als Beweise dienen[x]. Zu einiger Berühmtheit in der historischen Forschung hat es die mittelalterliche Fälscherwerkstatt des Augustiner Chorherrenstiftes St. Marien auf dem Berge vor Altenburg gebracht. Der Historiker Hans Patze fasste seine Beobachtungen mit den Worten zusammen:
»Der nahezu vollständig erhaltene Urkundenbestand des Altenburger Stiftes zeigt eindrucksvoll, wie dessen Kanoniker die Kunst der Urkundenherstellung beherrscht, von Generation zu Generation weitergegeben und schließlich bis zur Meisterschaft des erfolgreichen Betruges entwickelt haben.«[xi]
Manches daran mag an den Mittelalter-Krimi Der Name der Rose von Umberto Eco erinnern, doch haben Historiker wie Heinz Quirin und Horst Fuhrmann darauf hingewiesen, dass sich Fälscher von Urkunden oft nicht im Unrecht fühlten, weil sie einer höheren Wahrheit zum Sieg verhalfen. Und wer konnte eine gerechtere Sache vertreten als ein Mönch, der für sein Kloster kämpft?
Doch diese Randnotiz soll in unserem Bild nicht überwiegen. Klöster haben zweifellos im Bereich von Schrift und Text wichtigste Dienste für unsere Kultur geleistet. Die Tendenz der Ordensleute, in langen Zeiträumen zu denken und den nachfolgenden Generationen Ereignisse und Lebensweise zu überliefern, ließ Klöster mit ihren Chroniken, und ihren Texten zur Verwaltung und zum Recht nach dem Diktum des Historikers Gert Melville zu Innovationslaboren europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle werden.[xii] Aus Studieneinrichtungen der Dominikaner wie in Köln sind universitäre Einrichtungen hervorgegangen. Die Hinterlassenschaften von Klöstern in unserer heutigen Wissenskultur sind nicht zu übersehen.