Ein großer Nutzgarten für Gemüse und Obst
Das ist vor allem einer aufwändigen Restaurierung zu verdanken. Denn im Zuge der Säkularisation 1803 wurde das Kloster aufgelöst, die Apotheke kurz darauf an den Marktplatz von Seligenstadt verlegt, der Garten parzelliert und privat weiter genutzt. Von den prachtvollen Beeten blieb kaum etwas übrig. Doch in den 1980er-Jahren beschloss das Land Hessen, den Klostergarten nach historischem Vorbild zu restaurieren. Als Grundlage diente ein alter Kupferstich von 1712. Auf diesem ist die Anlage detailgetreu abgebildet – nicht nur der Apothekergarten, sondern auch der noch viel größere, barocke Konventgarten. Er umfasst mit 8000 Quadratmeter etwa ein Drittel der gesamten Fläche der Abtei.
Die Beete im Konventgarten sind präzise rechtwinklig nach mehreren Achsen ausgerichtet und von niedrigen Buchs-baumhecken umfasst. Hier bauten die Mönche – im Schutze der Klostermauern und eingerahmt von Blumen – ihr Gemüse an, zum Beispiel Mangold, Bohnen und Kohl. Dazwischen ragen heute wieder etwa 350 Zierobstbäumchen hervor. „Sie hängen voller Äpfel und Birnen alter Sorten, die man heute so gar nicht mehr kennt“, erzählt Garten-Expertin und Autorin Kriemhild Finken.
Orangenbäume im Schatten der Basilika
Ein Springbrunnen verteilt seine kühle Luft in dem großen Konventgarten. Hin und wieder läuft eine Entenfamilie über den Weg. Auf einem Teil der Beete wachsen Pflanzen, die die Mönche für das Färben von Stoffen oder Papier nutzten, zum Beispiel Mahonien oder Schminkwurz. In einer Ecke des Nutzgartens finden Besucher zudem einen Bienenstock, der bereits im 13. Jahrhundert an dieser Stelle stand. Exotischere Pflanzen wie Orangen-, Granatäpfel- und Feigenbäume überwintern heute in der prächtigen, restaurierten Orangerie von 1757. Ihr gewölbtes Dach hat die Form eines Schwanenhalses und ist großflächig verglast. „Es fängt die Sonne auf und leitet sie in den Raum“, erklärt Kriemhild Finken. Im Sommer kommen die Pflanzen in Töpfen auf den hellen Vorplatz.
Als der Abt Bonifacius vom Pferd stürzte und seither schwer krank war, ließ er 1734 noch einen weiteren Gartenbereich gestalten, den er von seinem Fenster aus sehen konnte: Im sogenannten Engels-gärtchen blühen Rosen und Marienblumen lieblich neben Brunnen, Statuen und alten Bäumen. Überragt werden Gärten und Orangerie von der roten Basilika. Sie ist nach dem Klostergründer Einhard benannt, dem Biografen Karls des Großen. Einhard (770-840) ließ das achteckige Gebäude für die Reliquien der Heiligen Marcellinus und Petrus bauen. Nach der Säkularisation nutzten die Katholiken von Seligenstadt die Basilika als ihre Pfarrkirche. Heute ist sie die größte karolingische Kirche nördlich der Alpen, in der weiterhin liturgische Gottesdienste gefeiert werden.
Doch ohne die Gärten würde das Kloster wohl nicht so viele Besucher anlocken. Gerade in den Sommermonaten sind die Wege zwischen den Beeten gut gefüllt. Auch Garten-Expertin Kriemhild Finken kommt seit ihrem ersten Besuch vor rund neun Jahren immer wieder. „Hier kann man einen ganzen Tag verbringen“, schwärmt sie. Denn zwischen Engelsfiguren und Basilika empfängt einen der Klostergarten mit einer Blütenpracht und Kräutervielfalt, die ihresgleichen sucht.