Klosterkultur ist ein weites und vielfältiges Feld, mit dessen Abschreiten und Ausmessen seiner Möglichkeiten man nicht so schnell an ein Ende kommt. Wie sollte man auch, bei einem 1.500- jährigen Kulturphänomen, das ebenso viele Wandlungen mitgemacht hat im Laufe der Zeit und trotz aller Höhen und Tiefen seine Lebens- und Gestaltungsfähigkeit bewiesen hat? So können wir nach wie vor und mit Fug und Recht Klosterleben als lebendiges Phänomen unserer Gesellschaft zeigen, das weit mehr ist als eine Reminiszenz an vergangene Zeiten à la „Der Name der Rose“. Ob es darum geht, klösterliches Arbeitsethos zu beleuchten, moderne Architektur, das Phänomen Klostergarten, den Weinbau alter Stifte und Abteien, Einblicke zu geben in die Ateliers klösterlicher Künstler – immer wird deutlich, dass es im Kloster das Große und Ganze ebenso wie das Kleine-Konkrete gibt, immer aber nur in Form konkreter Gemeinschaften, die wiederum gefügt sind aus einzelnen Persönlichkeiten. Diese Protagonisten des Alltags, Nonnen und Mönche, versuchen, vor dem Erfahrungshorizont und in dem Experimentalraum Kloster zu leben, um ein tragfähiges Lebensmodell zu finden.
Der andere Blick auf die Welt.
Das hört sich fürs Erste ein wenig nüchtern an: die Suche nach einem tragfähigen Lebensmodell. Immerhin hat ja der abendländische Mönchsvater, wie man den hl. Benedikt von Nursia (das ist die heutige italienische Stadt Norcia, er lebte ca. 480–547) oft nennt, sehr viel Wert auf die Gottsuche als Kern des Klosterlebens gelegt.
So sehr das auch richtig ist, so war Benedikt doch durch und durch ein Mensch des Alltags, und das gerade hat ihn veranlasst, eine Regel für den Klosteralltag mit allen seinen Facetten zu schreiben, ein Modell anzubieten. Denn auch Mönche und Nonnen leben in der Welt – niemand kann sich ihr völlig entziehen –, aber in kritischer Distanz zu ihr. Kritisch deshalb, weil sie es sich zur Aufgabe machen, nicht alles ungeprüft zu übernehmen und mitzumachen, sondern zu wählen, was im Leben Gewicht haben soll und was nicht. Deshalb sollen sie auch die „discretio“ einüben, von der Benedikt spricht, die Diskretion. Das heißt wiederum vom Wortursprung her nichts anderes als die Unterscheidungsgabe, und dieser entspricht als innere Haltung oder als Ziel die „dilectio“, die unterscheidende, auswählende Liebe. „Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“, wie es im Märchen heißt.
Und so kommen wir diesem Lebensmodell Kloster schon mit diesen wenigen Begriffen näher. Kloster heißt kritische Distanz zur Welt, heißt, einen anderen, alternativen, unterscheidenden Blick auf die Welt zu gewinnen. Diskrete, durchaus liebevolle Kritik, wenn man diesem Doppelbegriff etwas abgewinnen kann. Dem wohnt aber eine gehörige Portion Energie inne, bedeutet das doch, sein Leben immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und frohen Verzicht zu üben, wenn man merkt, vom ursprünglichen, jugendlichen Elan, mit leichtem Gepäck reisen zu wollen, abzukommen. Deshalb ist Kloster auch Erfahrungshorizont und Experimentalraum zugleich, weil es eine Geschichte hat, sowohl im eigenen Leben als auch als Ganzes.