Klosterarchäologie

Spurensuche in alten Gemäuern

von Kerstin Geßner & Annett Dittrich

Foto: K. Geßner

Geheimnisort Kloster? Klischees verstellen häufig den Blick auf das Klosterleben vergangener Zeiten. Sie reichen vom ‚Leben in spiritueller Verzückung‘ bis zu ungehemmter Lebensfreude, von asketischer Einfachheit bis zu Überfluss und Reichtum. Tatsächlich bergen die oft jahrhundertealten Klöster noch Geheimnisse: Sie schlummern im wahrsten Sinne des Wortes ‚unter der Oberfläche‘.

Archäologische Grabungen bringen Dinge ans Licht, die zum Verständnis der Klosterbauten und des Lebens in ihnen beitragen, Alltägliches wie auch Seltenes vor Augen führen, manchmal neue Fragen aufwerfen. So helfen sie nicht nur bei der Erforschung der komplexen Klostergeschichte, sie sind auch ein Teil davon.

Ausradiertes und Überschriebenes

Der Mangel an kostbarem Pergament führte im Mittelalter dazu, dass man bereits beschriebene Seiten teils wieder abschabte, um sie neu zu beschreiben. Aus dieser Praxis entstanden einzigartige Zeugnisse mit scheinbar unzusammenhängenden Textspuren auf einem einzigen Dokument. Man spricht dabei von Palimpsesten.

In der Archäologie steht der Begriff Palimpsest als Metapher für eine Kulturlandschaft, die über die Zeiten hinweg einem ständigen Wechsel unterworfen war. [i] Besonders passend beschreibt dieses Bild die Nutzungsgeschichte von Klöstern, denn hier wurden über Jahrhunderte hinweg Bauwerke errichtet, umgebaut, abgetragen, einplaniert, überbaut und manchmal sogar wieder rekonstruiert. Nicht immer radierten diese Aktivitäten das Vergangene gänzlich aus, denn jede Epoche hinterlässt im Boden Spuren, die im Rahmen archäologischer Untersuchungen dokumentiert und wie bei einem Puzzle neu zusammengesetzt werden kann. An Orten mit langer Nutzungsgeschichte entstanden über vorgelagerte Ländereien, Kapellen und Höfe eigenständige Klosterlandschaften, wobei sich im Umfeld der gebauten Klausur die sich überlagernden Zeitschichten zu gewaltigen Bodenarchiven verdichteten – ein als Weltkultur anerkanntes Erbe, das einen verantwortungsvollen Umgang verlangt.

Abb. 1: Das Fragment einer Fußbodenfliese aus dem Zisterzienserkloster Lehnin (Foto: K. Geßner)

Mit Schaufel und Hacke…

Die moderne Archäologie hält verschiedene Methoden parat, um Vergangenes und Fragmentiertes Schicht für Schicht freizulegen. Doch trotz digitaler, zerstörungsfreier Techniken, wie Geomagnetik, 3D-Scans und Drohnenbilder, gehören Schaufel, Kelle und Besen bis heute zu den wichtigsten Werkzeugen der Spatenwissenschaft. Damit begab sich schon der mittelalterliche Entdeckergeist auf die Suche nach Antworten auf die Frage nach dem Alter der Welt. Ob bei der Suche nach Reliquien, nach vergrabenen Schätzen oder auch aus purer Neugier auf antike bemalte Vasen, stets kamen Schaufel und Hacke zum Einsatz.[ii]

Abb. 2: Unter der Anleitung eines Benediktinermönchs aus St. Alban (London) graben Arbeiter nach Reliquien des Heiligen Amphibalus, Handschrift des 13. Jh. (Cambridge, Corpus Christi College, MS 026: Matthew Paris OSB, Chronica maiora I, 135v)

Mit Hacken legten im Jahr 1191 auch Benediktinermönche beim Wiederaufbau des durch Feuer zerstörten Klosters Glastonbury Gräber frei, die sie dem etwa 700 Jahre zuvor verstorbenen, sagenhaften Königs Arthus und seiner Frau Guinevere zuschrieben. Ein in diesen Gräbern gefundenes Schwert wurde als das legendäre Arthus Schwert Excalibur betrachtet, das der englische König Heinrich II. wenig später öffentlichkeitswirksam verschenkte, um dem Mythos und seiner eigenen Legitimation zu überzeugender Glaubwürdigkeit zu verhelfen. Aus heutiger Sicht können diese Grabungen des späten 12. Jahrhunderts als eine der ersten bekannten klosterarchäologischen Untersuchungen betrachtet werden.

Erdbewegungen, teils in gewaltigem Ausmaß, fanden immer wieder im Umfeld von Klöstern statt, etwa um das Gelände einzuebnen, Kanäle und künstliche Teiche auszuheben, Steine zu brechen oder, wie die Mönche von Dobrilugk, eine kilometerlange Landwehr um ihre teils abgelegenen Besitzungen zu errichten.[iii] Die dabei zu Tage geförderten Objekte und Kuriosita bildeten den Grundstock ausgedehnter Naturalien- und Fossiliensammlungen, wie z. B. im österreichischen Klosterneudorf, wo bereits im 14. Jahrhundert ein „Naturalienkabinett“ existierte.

Beitrag

Bildung

Da Klosterleben ein bewusstes, gestaltetes Leben ist, kann es ohne Bildung nicht gedacht…

Ein Beitrag von:

Experten

Dr. Kerstin Geßner

Expertin für Klosterarchäologie und archäologische Bauforschung.

Experten

Dr. Annett Dittrich

Expertin für Klosterarchäologie und archäologische Bauforschung.

Aufgaben der Klosterarchäologie

Heute findet Archäologie in Klöstern häufig im Rahmen von Bauforschungen und Baubegleitungen statt. Seltener sind dagegen großangelegte Forschungsprojekte, wie im Reichskloster Lorsch[iv], im Zisterzienserinnenkloster Seehausen[v] oder im Einsiedler-Prämonstratenserkloster Elisabethenzell[vi]. Die archäologische Arbeit folgt dabei den international verbindlichen musealen Richtlinien Forschen, Dokumentieren, Bewahren, Sammeln sowie Vermitteln, z. B. durch Ausstellungen und Visualisierungen. Dabei ist es kein Geheimnis, dass die Bewahrung von untertägig verborgenen Bodendenkmalen immer eine große Herausforderung bleibt, denn in der Regel werden ehemalige Baustrukturen oder Grabanlagen von den Verantwortlichen lediglich als Bauhindernis wahrgenommen. Sog. Rettungsgrabungen stellen in diesem Fall einen von der Denkmalpflege gebilligten Kompromiss dar, da sie die durch die Baumaßnahme zu zerstörenden Bodendenkmale zuvor freilegen und dokumentieren und damit als Wissen für die Nachwelt retten. Andererseits bieten ausgegrabene Reste verloren geglaubter Bauwerke auch Chancen, beispielsweise dann, wenn sie den Auftakt zu Rekonstruktionsprojekten bilden. Ein wichtiger Aspekt ist stets die Umsetzung zu ihrer Erfahrbarkeit bei einem Besuch vor Ort, wie z. B. im Fall des Kirchengrundrisses im Kloster Walkenried.

Abb. 3: Ausgrabung der Klosterkirche des 1118 gegründeten Augustinerchorherrenstifts Kaltenborn, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Robert Prust

Nicht selten gesellt sich zu dem hinlänglich Bekannten – wie Klosterkirche und Klausur – auch Unbekanntes, wie ehemalige Gebäude oder Einrichtungen auf dem Klosterareal, deren Funktion nicht überliefert ist. Hier kann die Archäologie Wissenslücken füllen. Dazu zählen Hinweise auf die ursprüngliche Funktion umgewidmeter Gebäude, technische Details zu ausgeklügelten unterirdischen Be- und Entwässerungssystemen oder zu Baulösungen von Heizsystemen, Verbindungsgängen und Brunnen.

Ob durch aufgedeckte Grabanlagen, Alltagsgegenstände oder Kunstobjekte – häufig revidieren archäologische Funde das bestehende Bild einer Klosteranlage. Mit neuen Datierungen, gewonnen etwa durch die Jahrringchronologie von Holzfunden, schreibt die Archäologie die lokale Klostergeschichte fort. Bodenfunde stellen dabei einen ganz eigenen, handfesten Zugang zu der vergangenen Lebenswirklichkeit her und konfrontieren Ausstellungsbesucher*innen mit den eher profanen, bisweilen unerwarteten Dingen, stets aber mit der Vergänglichkeit des kulturellen Erbes.

Abb. 4: Mediale Aufbereitung des Funds einer klösterlichen Lesepultfigur (Atzmann), Ausstellung in der Zehntscheune Kloster Lorsch (Foto: Oschatz Visuelle Medien GmbH) Genehmigung erteilt, Bedingung: Unternehmen nennen bzw. URL: https://www.oschatz.de/projekte/zehntscheune-kloster-lorsch

Archäologische Bau- und Grundrissforschung

Neben Georg Sello, der in den 1870er Jahren in der Klosterkirche von Lehnin umfangreiche Ausgrabungen vorantrieb, gehört der Amerikaner Kenneth John Conant, der sich ab 1927 der Erforschung der französischen Abtei Cluny widmete, zu den Pionieren der Klosterarchäologie.[vii] Durch ein intensives Studium historischer Ansichten und Pläne gelang es ihnen, mittels gezielter Grabungssondagen eine Rekonstruktion der überbauten und in Trümmern liegenden Klosterkirchen vorzulegen.

Abb. 5: Bergung von Architekturteilen aus gezielten archäologischen Sondagen in Cluny, 1931 (https://www.medievalacademy.org/page/FirstProjects)

Seitdem gehört die Grundrissforschung zu den primären Aufgaben der Klosterarchäologie. Denn nicht nur in Burgund und Brandenburg dienten säkularisierte Klosteranlagen als Steinbruch, auch im übrigen Europa lagen mittelalterliche Klöster durch mangelnde Instandhaltung oft in Trümmern. Aber auch Abteien, die auf eine ungebrochene klösterliche Nutzung zurückblicken können, waren meist im Barock erheblichen Umbauten unterworfen, mit denen der bauliche Bestand fortwährend an die veränderten Bedürfnisse angepasst wurde. So ruhen auch im Boden von scheinbar vollständig erhaltenen Anlagen Fundamente, Keller und Fußböden abgebrochener Klostergebäuden oder gesamter aufgegebener Bereiche.

Eine exakte Vermessung und die Kenntnis verschiedener Bautechniken helfen bei der Entwirrung der sich über die Zeitenläufte hinweg überlagernden, räumlichen Strukturen: Im besten Fall steht am Ende ein Grundrissplan, oft mit farblich unterschiedenen Zeitschichten.

Abb. 6: Bauphasenplan und Kapitelsaal des Zisterzienserklosters Bronnbach (Häret-Krug, Katinka 2017, Abb. 15/16)[viii]

Zwar folgte die Anlage eines Klosters bestimmten Ordnungsprinzipien, diese wurden aber von jedem Konvent den lokalen Gegebenheiten angepasst. Verschiedene Orden favorisierten zudem unterschiedliche Baustrategien.[ix] Während sich die Klöster der Mendikantenorden in die engmaschige Struktur bereits bestehender Städte einpassten, bilden die auf freiem Feld gegründeten Klöster des Zisterzienserordens großzügige architektonische Ensembles. Die strenge Klausur der Nonnenklöster erforderte dagegen variable Grundrisslösungen mit reglementierten Zu- und Übergängen. Die Herausarbeitung dieser teils verschütteten, individuellen Raumorganisation ist Aufgabe der archäologischen Bauforschung. Punktuelle Eingriffe z. B. in Fußböden oder Gewölbekappen führen dabei auch zu Detailkenntnissen. Daneben fördern Ausgrabungen zahlreiche Einzelzeugnisse der Klosterbaukunst, wie Formsteine, Architekturteile, Bodenfliesen, Dachziegel, Ofenkacheln oder Wasserrohre zutage.[x]

Abb. 7: Schlussstein aus dem Franziskanerkloster Kyritz (Foto, Zeichnungen: A. Dittrich, K. Kortschagina, K. Kossatz)

Gartenarchäologie

Da klösterliche Gärten ebenfalls baulichen Normen unterworfen waren und meist feste Einbauten und Strukturen aufwiesen, lassen sich deren Überreste im Boden gezielt suchen. Diese dienen mitunter als Grundlage für eine Neufassung, wozu Umfassungsmauern, Brunnen, Wasserbecken, Pavillons, Wegachsen und Kreuzungen, Skulpturen, Fundamente, seltener auch Beete, Pflanzgefäße oder botanische Reste gehören. So stützte sich die Rekonstruktion der barocken Gartenanlagen des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstifts Dalheim nicht nur auf Bildquellen, sondern auch auf archäologische Ergebnisse.[xi] Barocke Gartenstrukturen, aber auch Schnitt- und Pflanztechniken gehen dabei maßgeblich auf mittelalterliche Vorbilder zurück. Klostergärten umfassen eine Reihe spezieller Gartenräume, die sich archäologisch, bodenkundlich und topografisch, z. B. über Höhenmodelle, fassen lassen: Angefangen von Weinbergen, Karpfenteichen und versumpften Kanälen über Spaliermauern für Obst, eingefasste Baum- und Gemüsegärten bis hin zu Baumpflanzgruben und rigolten Spargelbeeten, die sich deutlich in Erdprofilen abzeichnen.[xii]

Abb. 8: Fenster in die Vergangenheit im Barockgarten des Klosters Dalheim

Fundstücke des Alltags

Aufgrund der gegenüber den mittelalterlichen Städten erhöhten Anforderungen an Hygiene und Sauberkeit kann die Aufdeckung einer monastischen Müllhalde als echter Glücksfall für die Klosterarchäologie angesehen werden. So geschehen in den 1980er Jahren im Zisterzienserinnenkloster Seehausen, wo im Uferbereich des nahegelegenen Sees über Jahrhunderte hinweg Unrat und Brandschutt entsorgt worden war. Das Depot aus mehreren tausend Einzelstücken stellt einen „einmaligen Fundus klösterlicher Alltagskultur“[xiii] dar. Die Funde demonstrieren dabei anschaulich das Spannungsfeld zwischen Weltlichkeit und Weltflucht, in dem sich die meist adeligen Klosterfrauen bewegten. Während aus Rosenkränzen, Hostienlöffeln, Pilgerzeichen und anderen Devotionalien das fromme Leben hinter den Klostermauern spricht, sind Trinkgeschirr, Holzlöffel, Stecknadeln, Fingerhüte, Spinnwirtel, Kämme oder Ohrlöffel Zeugnisse des profanen Alltags der Nonnen. Andere klostertypische Fundobjekte, wie Schreibgriffel aus Knochen und Horn, Buchschließen, abschließbare Kästen, Holztafeln und Tonlämpchen, verweisen dagegen auf die Schriftkultur der Mönche und Nonnen.

Abb. 9: Reliquienkästchen und Stecknadeln als Grabungsfunde aus dem Zisterzienserinnenkloster Seehausen (Sammlung des Dominikanerklosters Prenzlau, Online: https://brandenburg.museum-digital.de/objects?s=+fulltext%3Aseehausen§ion=results_list&mode=grid&startwert=0)

Gelegentlich zeigen die Fundstücke auch die Diskrepanz zwischen der strengen, durch Ordensregeln und Statuten übermittelten Norm und der realen Lebenswirklichkeit in den Klöstern auf. So sind Jetons, Steine und Würfel der materielle Beweis, dass das klösterliche Spieleverbot, das sich vor allem gegen das Glücksspiel richtete, nicht in jedem Konvent streng eingehalten wurde. In der Latrine des Freiburger Augustiner-Eremitenklosters fand sich ein vollständiges Trictrac-Spielbrett, eines mittelalterlichen Vorläufers des heutigen Backgammons.[xiv] Doch wie gelangte es dorthin? Obwohl die Interpretation eines archäologischen Befunds wie in einem Indizienprozess die zu lesenden Spuren gelegentlich zu einem Handlungsablauf zu rekonstruieren vermag, bleibt die Motivation im Einzelfall oft ungewiss.[xv] Wurde das Spielbrett also nur verborgen oder gar demonstrativ in den Orkus geworfen?

Abb. 10: Spielbrett eines Trictrac-Spiels, dem heutigen Backgammon aus der Latrine des Augustinereremitenklosters Freiburg (Quelle: Anm. VIII, 3.3.8) und beinerner Spielstein aus dem Zisterzienserkloster Lehnin (Foto: K. Geßner)

Latrinen und Brunnen enthalten neben Tierknochen auch botanische Reste, anhand derer die Archäobotanik Rückschlüsse auf Nahrungs- und Nutzpflanzen gewinnen kann. Klöster spielten eine Vorreiterrolle bei der Propagierung des Obstbaus, davon zeugt nicht nur die Reise des Borsdorfer Apfels quer durch Europa, darauf verweisen konkrete Funde von Weinbeeren-, Pfirsich-, Pflaumen- und Kirschkernen, daneben Schalen der Hasel- und der Walnuss. Färbepflanzen, Gewürze und Heilkräuter lassen sich über verkohlte Samen ebenso bestimmen wie Ackerbohnen, Linsen, Hirse oder Senf. Seltener zeugen dagegen Überreste mittelalterlicher Exotika wie Feigen und Reis von der großen Reichweite klösterlicher Netzwerke.

Grabbrauch und anthropologische Studien

Klöster gehörten zu den begehrtesten Bestattungsorten im Mittelalter: Ein Grab in klösterlicher Erde galt als wichtiger Garant für das eigene Seelenheil, denn es versprach ein immerwährendes Totengedenken, das durch die Gebete und Messen der Konventmitglieder aufrechterhalten werden sollte. Heute sind die meisten Klosterfriedhöfe aufgegeben, manche sogar ganz in Vergessenheit geraten. Grüfte liegen zudem unmittelbar unter den Kirchenfußböden, unter denen etwa der nachträgliche Einbau von Heizungen eine große Herausforderung darstellt. Ist aufgrund von geplanten baulichen Eingriffen die Notbergung nicht zu vermeiden, lassen sich bereits bei der Freilegung wichtige Anhaltspunkte zum klösterlichen Grabbrauch feststellen, wie etwa der Gebrauch von Leichentüchern anstelle von Särgen.

Abb. 11: Freilegungsarbeiten auf dem Klosterfriedhof Lehnin und am Fundament der Vierung (Foto: A. Dittrich)

Die spätere anthropologische Analyse konzentriert sich auf Besonderheiten der jeweiligen monastischen Gemeinschaften, die mitunter eine größere Diversität aufzeigen, als gemeinhin angenommen. Aktuelle anthropologische Untersuchungen menschlicher Gebeine von den Friedhöfen der Klöster Lehnin (Brandenburg) und Ihlow (Ostfriesland)[xvi] belegen, dass auch Frauen und Mädchen auf zisterziensischen Mönchsfriedhöfen zur letzten Ruhe gebettet wurden. Möglich wurde dies durch eine Änderung der Ordensstatuten. Nachdem das kategorische Bestattungsverbot von Laien und Frauen nach und nach gelockert worden war, konnten ab dem 13. Jahrhundert pro Konventmitglied zwei nahestehende Personen (amici) ihre letzte Ruhestätte auf einem zisterziensischen Klosterfriedhof finden.

Auch Gäste, Arme und Kranke durften in einem Kloster bestattet werden, wenn sie dort verstorben waren. Dass viele schwer erkrankte Menschen und Notleidende die Aufnahme in das klostereigene Hospital begehrten, zeigt die große Anzahl der Skelette mit krankheitsbedingten Auffälligkeiten, wie sie z. B. durch Tuberkulose entstehen. Entzündliche Veränderungen am Knochenmaterial deuten zugleich auf harte körperliche Arbeit hin, wie das Tragen schwerer Lasten. Karies-Indices und sogenannte Stress-Marker an Zahn- und Knochenfunden – derartige Anzeichen für Phasen einseitiger Ernährung oder überstandene Krankheiten geben also Hinweise auf die jeweilige Ernährungsweise oder auf bestehende Fastenvorschriften.

Gelebte Vergangenheit

Neben der klassischen Ausstellung existieren in jedem Kloster unterschiedliche Ansätze zur Visualisierung der Vergangenheit, auch auf Basis der vielfältigen, archäologisch gewonnenen Fakten. Während das Kloster Chorin auf einem virtuellen Rundgang erkundet werden kann, geht die LEADER-geförderte, interaktive Erlebnisreise „Mittelalter meets Media“ des Klosters Wedinghausen noch einen Schritt weiter. Mittels kurzer Filmsequenzen und unter fachlicher Führung des Berliner Landesarchäologen Prof. Dr. Matthias Wemhoff werden in den Klosterräumen der vergangenen Lebenswelt nachgespürt und gleichzeitig Fakten zur Baugeschichte, zur Wandmalerei und zu den archäologischen Funden präsentiert.

Abb. 12: Der virtuelle Rundgang des Klosters Chorin (https://visit.museum-virtuell.com/de/tour/chorin)

Abb. 13: Der mediale Guide des Klosters Wedinghusen (www.kloster-wedinghausen.de)

Ob Klosterladen, Reenactment, Mittelalterevents, Bierbrauseminare, Fastenreisen oder Klostergärtnerei, der heutige Zugang zu dem historischen Erbe, das uns mittelalterliche Mönche und Nonnen hinterlassen haben, ist so facettenreich wie die Klöster selbst. Über diesen spielerischen Umgang hinaus steht am Ende der archäologischen Untersuchung die Aufgabe, über verschiedene Medien die individuelle Geschichte des klösterlichen Orts weiter zu erzählen. Denn der authentische Ort, wenngleich auf vielfältige Weise verändert und noch immer im Wandel begriffen, bleibt ebenso kostbar wie das Pergament in der mittelalterlichen Bibliothek.

Endnoten

[i] Laurent Olivier: The Dark Abyss of Time – Archaeology and Memory. Plymouth 2011.

[ii] Alain Schnapp: Die Entdeckung der Vergangenheit – Ursprünge und Abenteuer der Archäologie. Stuttgart 2009, 100, 111-112, 116.

[iii] Annett Dittrich, Kerstin Geßner: Wehrhafte Mönche – Die Landwehr des Klosters Dobrilugk bei Birkwalde, Lkr. Elbe-Elster. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2022, 106–111.

[iv] https://www.uni-heidelberg.de/fakultaeten/philosophie/zegk/iek/forschung/lorsch_kloster.html; https://kloster-lorsch.de/klosterlorsch/archaeologie-baugeschichte

[v] BMBF-Projekt: Materielles Gut als Ausdruck weiblichen spirituellen Lebens und täglichen Handelns im Mittelalter (https://bldam-brandenburg.de/arbeitsbereiche/archaeologie/forschungen-und-projekte/kloster-seehausen/); Felix Biermann, Katrin Frey, Gudrun Gleba (Hg.): Mittelalterliche Zisterzienserinnenklöster im südwestlichen Ostseeraum Materielles Gut zwischen Alltag und Spiritualität. 1. Auflage. Zossen bei Berlin 2020.

[vi] Freilichtmuseum Elisabethenzell (Unterfranken, https://www.spessartprojekt.de/forschung/ausgrabungen/das-kloster-elisabethenzell/)

[vii] Janet T. Marquardt: First Projects: Medieval Academy Support of Kenneth J. Conant’s Cluny. Eastern Illinois University 2004 (https://www.medievalacademy.org/page/FirstProjects)

[viii] Katinka Häret-Krug: Zwischen Tradition und Repräsentation – Zisterziensische Klausurbauten im Barock. Die Beispiele Ebrach, Bronnbach, Eberbach und Arnsburg. In: Joachim Werz (Hg.): Die Zisterzienser. Konzeptionen klösterlichen Lebens. Regensburg, 2017.

[ix] Christina Vossler-Wolf: Klosterarchäologie. In: Barbara Scholkmann, Hauke Kenzler, Rainer Schreg (Hg.): Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Grundwissen. Darmstadt 2016, 210-218.

[x] Horst Adler (Hg.): Fundort Kloster: Archäologie im Klösterreich. Katalog zur Ausstellung im Stift Altenburg, vom 1. Mai bis 1. November 2000.

[xi] Matthias Preißler: Der barocke Konventgarten von Kloster Dalheim. In: Matthias Wemhoff (Hg.): Barocke Blütezeit. Die Kultur der Klöster in Westfalen. Regensburg, 1. Auflage 2007, 47–59.

[xii] Zur Wasserbautechnik vgl. James Bond: Monastic Water Management in Great Britain: A review. In: Graham Keevill, Mick Aston und Teresa Hall (Hg.): Monastic archaeology: papers on the study of medieval monasteries. Oxford, 2001, 88-136.

[xiii] Dirk Schumann: Das Zisterzienserinnenkloster Seehausen und ein umfangreiches archäologisches Inventar der klösterlichen Sachkultur. In: Dirk Schumann (Hrsg.): Sachkultur und religiöse Praxis. Berlin 2007, 458–491.

[xiv] “Heiter bis göttlich”. Die Kultur des Spiels im Kloster. (Katalog zur Sonderausstellung in der Stiftung Kloster Dalheim – LWL-Landesmuseum für Klosterkultur vom 1. Juni bis zum 3. November 2013). Hg. von der Stiftung Kloster Dalheim – LWL-Landesmuseum für Klosterkultur. Mit Texten von Helga Fabritius et al. Lindenberg im Allgäu, 2013.

[xv] Carlo Ginzburg: Spurensuche – Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst. Berlin 2011.

[xvi] Melanie Timmermann: Das Ihlower Zisterzienserkloster: Beten, Arbeiten und heilsames Leben im Mittelalter! Eine anthropologische Untersuchung, Berlin, 2009, 24.