Be-wusst-sein

Haben wir also den Mut zum Warten, zum Advent, zum Leben!

Ein Text von Pater Abraham Fischer OSB aus dem Benediktinerkloster Königsmünster in Meschede.

Be-wusst-sein – Substantiv

der Zustand, dass ein Mensch mit allen Sinnen seine Umgebung erkennt
Die Fähigkeit, mit dem Verstand und den Sinnen die Umwelt zu erkennen und zu verarbeiten
Das bewusste Erkennen oder Wissen

Diese Definitionen finden sich als erste im Internet. Wenn man dann das einschlägige Internetlexikon öffnet, so zeigt sich ein wesentlich komplexeres Bild. Hier kann Bewusstsein als solches nicht mehr klar definiert werden, sondern es wird deutlich, dass Philosophen, Psychologen, Historiker, Soziologen und andere Wissenschaften den Begriff sehr unterschiedlich verstehen und einordnen. Vielleicht können wir anhand dieser Tatsache auch verstehen, dass sich die Menschen anscheinend mit „Bewusstem Sein“ schwertun. Dabei ist „bewusstes Dasein“ eines der großen menschlichen und modernen Lebensziele.

Im Vergleich zu unseren Vorfahren ist unsere Welt kompliziert und ungeheuer geworden. Die wachsenden wissenschaftlichen Forschungsergebnisse haben nicht etwa zu einem leichteren Verständnis der Welt geführt, sondern zu einer Vielschichtigkeit, die unübersehbar scheint. Es gelingt nur mehr schwer, die Welt um uns und in uns wahrzunehmen und daraus einfache Regeln für unser Handeln abzuleiten. Diese Tatsache hat Konsequenzen. Viele Menschen nämlich blenden das Ganze oder das Grundsätzliche der Einfachheit halber aus und folgen nur noch dem Kleinen und Überschaubaren. So bekommen sie zumindest für den Moment ein Gefühl von Sicherheit für den nächsten Schritt im Alltag.

Ein Beitrag von:

Experten

Pater Abraham Fischer OSB

Experte für Klosterprodukte, Kloster, Benediktiner, Musik und Klosterkultur.

Die Pause

Ein Foto von Bruder Felix Weckenmann, Klostergärtnerei Beuron

Der berühmte amerikanische Komponist John Cage (1912-1992) hat mit einem besonderen Musikstück schon vor Jahrzehnten (1940) die Musikszene in Verwirrung gesetzt. Das Stück 4 Minuten 33 Sekunden wurde zu einem Schlüsselwerk der neuen Musik und regt auch heute noch Menschen zu Nachdenklichkeit und Stille an. John Cage komponiert in diesem Stück völlig aus, was die Musik in einzelnen Elementen schon immer kennt: die Pause. So steht in der Partitur dieses Musikstückes lediglich das lateinische Wort „Tacet“ – er schweigt. Eine Herausforderung für den Pianisten oder auch das Orchester, aber auch für den Zuhörer, denn in dem Stück wird kein Ton gespielt. Manche Hörer kamen zu der Erkenntnis, dass es die Stille an sich da sei, die der Komponist darstellen wollte. Andere meinen, dass das „Hintergrundrauschen“ des Publikums, also die Bewegungen im Saal, das Räuspern sowie Geräusche, die in den Aufführungssaal hineinstrahlen, die Musik sei.
Für John Cage geht die Idee dieses Musikstückes auf eine besondere Erfahrung zurück. Er besuchte einen völlig schalltoten Raum, der so konstruiert war, dass Decke, Wände und der Boden keinerlei Geräusche zurückwerfen. Als er diesen Raum betrat erwartete er rein gar nichts zu hören. Dennoch nimmt er zwei Klänge wahr, einen hohen und einen tiefen. Als er diese Erfahrung einem Techniker beschreibt, antwortet dieser, dass der hohe Ton durch die Arbeit des menschlichen Nervensystems entstehe und der tiefe durch den Blutkreislauf.

In äußerster Stille hört der Mensch also letztlich immer noch und unausweichlich sich selbst.

Das Musikstück an sich und die Diskussion um seinen Beitrag zur Musik ist immer noch fruchtbar. Menschen, die dieses Stück unvorbereitet hören, sind völlig irritiert. Die Musik steigt aus ihrer Aktion, ihrer Bewegung, ihrer Unruhe aus und geht sozusagen bis in ihre Essenz zurück – geboren aus der Mitte des Schweigens. Es geht um das Hören zwischen den Zeilen, die Wahrnehmung des Vermuteten, ja es geht letztlich darum, sich selbst, unser eigenes Dasein, unsere pure Existenz anzunehmen und wahrzunehmen. Aus dieser Erkenntnis lässt sich ableiten, dass wir für unser Dasein nichts tun müssen, keine Rechtfertigung zu leisten haben, sondern einfach sind. Das auszuhalten ist keineswegs einfach! Allzu schnell gehen wir wieder in die Bewegung, die Begründung oder die Aktion. Damit das Leben gelingt und funktioniert, ist das richtig so. Gleichzeitig aber brauchen wir Zeiten der Pause, Zeiten der Zwischentöne, Räume des Schweigens.

Mut zur Stille

Ein Bild mit Pater Abraham Fischer, Benediktinerabtei Königsmünster (Foto: Lutz Tölle Iserlohn)

Wir aber stehen im Advent. Für viele ist es gerade im Jahr der Pandemie ein sehnlicher Wunsch, diese Zeit „bewusst“ zu erleben. Das Musikstück von John Cage führt uns zurück ins Wesentliche. Es zeigt uns unnachahmlich mit viel Tiefe und auch mit einem Schmunzeln auf, was wir sind. Wir müssen den Mut zur Leerzeile, zur Pause haben. Nichts anderes bezeichnet die spirituelle Sprache als „Stille“. In der Benedikstregel finden wir dieselbe Weisung drastisch: „Den unberechenbaren Tod täglich vor Augen haben“ (RB 4, 47). Der Vers stellt die Frage nach Prioritäten im Angesicht überwältigender Möglichkeiten und ihrer grundsätzlichen Endlichkeit. Den Imperativ des „ALLES!“ kann kein Mensch bewältigen. Keiner und keine kann alle Arbeit schaffen, alle Möglichkeiten völlig ausleben. Der sich hektisch steigernde Versuch allein schon kann (und muss) uns zur Verzweiflung treiben. Der Mensch wird immer eine Aus-Wahl zu treffen haben. In diesem Verwirrspiel des Unwirklichen (nichts anderes sind die scheinbar vielen Möglichkeiten) ist es unabdingbar, Kriterien für Entscheidungen zu haben. Die Generalpause, wie auch die kleine Atempause zwischen zwei Melodieabschnitten ist hier der versteckte Hinweis zwischen den Zeilen: Wenn wir es wagen, die Endlichkeit an- und wahrzunehmen, eröffnet sich tiefe Erfüllung. Wenn wir die Pause zum Prinzip, gestaltete Langsamkeit zum Leitfaden erheben, dann verlieren wir nicht, sondern gewinnen. Wie die Spirale aber müssen wir uns dazu selbst immer wieder überwinden. Eine Herausforderung. Eine Zu-Mutung. Ein Skandal, der aller Innerweltlichkeit standhält, nicht weil er sie ablehnen würde, sondern weil er sie annimmt, in der Unterscheidung ihrer Herr wird und dann gezielt mithilfe aller weltlichen Güter dem Ziel entgegeneilt.

Nichts anderes ist Advent: Wir halten inne, weil wir wissen, dass die Pause, die Stille, das Innehalten nicht aussichtslose Endlichkeit bedeutet, sondern dass gerade ein „Weniger“ Lebensqualität eröffnet. Paradoxe Weisheiten sind das – wahrlich. Religiöse Menschen können das Vertrauen haben, dass sich Stille nicht ins „Nichts“ führt, sondern dass ihnen aus der Stille jemand entgegenkommt. Es ist Gott, der im Kommen schon da ist.

Haben wir also den Mut zum Warten, zum Advent, zum Leben!

Zwischen den Klängen unseres Lebensliedes wartet Gott, weil er unaufdringlich zwischen den Zeilen zu uns spricht – liebevoll, leise. Wenn nun gilt: Bewusstsein ist der Zustand, in dem ein Mensch mit allen Sinnen seine Umgebung und sich erkennt, dann ist Gott immer dazwischen – in den offenen Fragen, in der Langsamkeit, in der Ratlosigkeit, in den Schwachen und Bedürftigen, in den Suchenden, in jeder Stille zwischen zwei Atemzügen – eben über-All. Das zu erkennen wäre wahrlich Advent inmitten der Welt und aus Liebe zu ihr.

Be-wusst-sein

Haben wir also den Mut zum Warten, zum Advent, zum Leben!

Be-wusst-sein – Substantiv

Pater Abraham Fischer OSB

Die Pause

In äußerster Stille hört der Mensch also letztlich immer noch und unausweichlich sich selbst.

Mut zur Stille

Haben wir also den Mut zum Warten, zum Advent, zum Leben!

Themen

Teilen auf